Einmal Luhmann und zurück

Title: Luhmann Kompakt

Luhmann-Kompakt

Niklas Luhmann stützt seine Theorie sozialer Systeme auf das Letztelement Kommunikation. Nur sie könne als genuin soziale Operation gelten. Was er ablehnt, ist die Vorstellung einer Übertragung. Er selbst bezieht sich auf die Grundannahmen von Karl Bühler. [Luhmann. Aufsätze und Reden. 2001:100]. Bühler, der wegen seines Organonmodells der Sprache weithin bekannt sein dürfte, entwickelt den Konversionsgedanken in einem anderen Zusammenhang. Auch wesentliche Aspekte der Arbeiten des Komunikationsforschers Gerold Ungeheuer fußen auf Karl Bühler. z.B. die Grundannahme von Kommunikation als Sozialhandlung (Gespräch, Dialogizität), Sprechen-Mitteilen-Verstehen und die Eindrucksorientierung, u.a.

Ungeheuer zufolge findet sich der „kybernetische“ Kerngedanke Bühlers in der Schrift „Krise der Psychologie“ (1927) im 9. Paragraph „Der seelische Kontakt und das Kontaktverstehen“.

„Das ist das Paradigma: Die Steuerung von B her erfaßt A in der inneren Wahrnehmung, die von ihm an B geübte an dessen Benehmen, also in der äußeren Wahrnehmung. (Bühler 1927:95 zit. nach Ungeheuer,G. „Bühler und Wundt.“1984:413.).

Hier deutet sich unzweifelhaft die Konversionsleistung der Beteiligten an. Da ist zunächst der Vorgang vom Hören zum Begreifen des von B Gesagten. Diese Wendung „steuert“ einerseits die innere Wahrnehmung von A hin zum Verstehen oder zum Nicht-Verstehen. Und gleichzeitig erfasst A die Bewegungen wie Gebärden, Gesten, Mimik usw. von B über die äußere Wahrnehmung quasi eine Rückspeisung über dessen Verhaltensäußerungen auf die Mitteilung.

Die Beteiligung von Bewußtseinsprozessen bestreitet Luhmann gar nicht. Wie wir noch sehen werden, klammert er sie ein und aufgrund einer differenztheoretischen Entscheidung aus, was immer wieder befremdlich wirkt.

Seine Kommunikationstheorie stützt Luhmann des weiteren auf informationstheoretische Annahmen zur Selektiviät: MacKay, Donald M. 1969; und ders. (1972): Formal Analysis of Communicative Processes in R.A. Hinde (ed.). Non-verbal Communication Cambridge. Engl., 3-25] Vgl. dazu Luhmann 1978: Macht.

Der Kommunikationsprozess besteht nach Luhmann aus einer dreifachen Selektion von Information – Mitteilung – Verstehen. Im Unterschied zu anderen Konzepten – man beachte etwa Jürgen Habermas Theorie des kommunikativen Handelns – betrachtet Luhmann Kommunikation als problematisch und riskant. Diese Sichtweise begründet er mit Hinweis auf Vollzug des Verständigungsprozesses und seine Unwägbarkeiten. Die Unwahrscheinlichkeit, dass Kommunikation gelingt, besteht unter Bezug auf drei Aspekte.

  • Verstehen ist unwahrscheinlich unter der Prämisse eines individualisierten (geschlossenen) Bewußtseins
  • Erreichen von Personen (Adressaten, Empfängern) ist unwahrscheinlich aufgrund interaktiver Beschränkungen (raum-zeitliche Restriktionen, Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Teilnahme);
  • selbst bei medialer Überwindung (Ausweitung) konkurrieren andere Tätigkeiten und oder Bewußtseinsabläufe um beschränkte Aufmerksamkeitskapazitäten.

Hier bezieht Luhmann nun das Bewußtsein in seine Argumentation mit ein, jedoch zunächst nur als einen kritischen Faktor. Das Bewußtsein erhöht die Ungewissheit über Verlauf und Ergebnis der Verständigung, da es sprunghaften Veränderungen, stimmungshaften Schwankungen und Sinnestäuschungen gegenüber zugänglich ist und wenig verlässlich „irrlichtert“.

Die zweite Quelle liegt in der Ungewissheit des Erfolgs der Interaktion. Der Austausch unter Personen bei angesichtiger wie zeitversetzter Kommunikation stellt eine kritische Größe dar, weil – darauf hat Heider luzide mit der Unterscheidung Medium und Form hingewiesen – die formalen Aspekte bereits eine Mehrdeutigkeit mitführen und wie angedeutet weder „Bedeutung“ noch „Sinn“ noch „Inhalt“ übertragen werden, sondern Laut-, Schrift-, Klang-, Symbolzeeichen.

Mit anderen Worten, die Konzeption setzt mit der Annahme der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation an und Luhmann will oder muss erklären, wie Gesellschaft ihr konstituitives Moment dennoch erwartbar konfiguriert. Und Kommunikation – wiederum mit der Unterscheidung von Fritz Heider im Sinn betrachtet – kann Ding und damit Verständigung und Thema sein – wie bei Luhmann, Ungeheuer sowie in einer der zahllosen Monographien zum Thema – oder sie wird – wie das Glas bei Heider – selbst zum Medium. In diesem Fall ermöglicht sie dann Vergesellschaftung, vorausgesetzt es gelingt dem Theoriearchitekten das Medium mit der erforderlichen Varietät auszustatten.

Dabei betont Luhmann in seiner systemtheoretischen Fassung die Emergenz der Kommunikation selbst und behauptet fest, dass nichts übertragen werde [Luhmann Aufsätze 2001:100]. Stattdessen bilde die K. eine Art Gedächtnis an das andere Kommunikation angeschlossen werden könne.

Denn Kommunikation sei die zentrale Operation sozialer Systeme. Die operative Kontinuität sei das Lebenselixier des Sozialen und aller gesellschaftlichen Prozesse insgesamt, während Interaktion allein lediglich das Spielmatrial für unstrukturierte Assoziation gebe.

Durch kontinuierlichen Anschluss von Kommunikation an Kommunikation entstehen in dieser Sichtweise spezifische Ordnungsstrukturen und Funktionsbeiträge, die den Aufbau, Fortbestand und Wandel sozialer Systeme ermöglichen.

„Denn nicht die Handlung, sondern nur die Kommunikation ist eine unausweichlich soziale Operation und zugleich eine Operation, die zwangsläufig in Gang gesetzt wird, wenn immer sich soziale Situationen bilden.“ [2001:96]

Das klingt nach einem axiomatischen Postulat, erinnert zugleich an das ähnlich paradox kingende: man kann nicht nicht kommunizieren von Paul Watzlawick (1968). Beides stellt zumindest auf der Ebene von Interaktionen einen evidenten und empirisch verifizierbaren Sachverhalt dar.

Eine ganz andere Frage bleibt, ob die Theorie mit derart unterschiedslosen Kategorisierungen noch etwas aussgrenzt oder nicht alles, die Welt insgesamt aus Kommunikation besteht. Unter dieser Prämisse überkommt Luhmann die herkömmliche Kontainerkonzeption von Gesellschaft. Im Kontext von mehr oder weniger weltumfassenden Verbindungen, verwirklicht durch das mediale Letztelement sozialer Systeme, Kommunikation, kann er mit seinem operativen Ansatz die Weltgesellschaft als Letzthorizont in plausibler Weise hypostasieren (vgl. Globalisierung).

Da Komplexität der Welt und deren Reduktion durch Kommunikation das theoriebauliche Gelenk seiner Erklärung sozialer Phänomene darstellen, kann Kommunikation nahezu jede Form des Operierens in, zwischen sozialen Systemen repräsentieren z.B. Krieg, Handel, Liebe, Kunst …

Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation und die Bearbeitung des dreifaltigen Risikos ihres potenziellen Scheiterns stellt für Luhmann unter einer sozio-evolutionären Perspektive jedenfalls die zentrale Bedingung zur komplexen Systembildung im Sinne moderner Gesellschaftsformen dar. Und deren Letzthorizont ist die Gesellschaft der Gesellschaften, die Weltgesellschaft (Vgl. sein Abschlussoeuvre Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997).

Mit anderen Worten, Luhmann erklärt die Möglichkeit des Scheiterns (prinzipielle Unwahrscheinlichkeit) von Kommunikation, die als originäre Operation sozialer Systeme von existenzieller Bedeutung ist, zum Motor und Gestaltprinzip sozialer Systeme.

„Man wird Kommunikation unterlassen, wenn Erreichen von Personen, Verständnis und Erfolg nicht ausreichend als gesichert erscheinen. Ohne Kommunikation bilden sich aber keine sozialen Systeme. Die Unwahrscheinlichkeiten des Kommunikationsprozesses und die Art, wie sie überwunden und in Wahrscheinlichkeiten transformiert werden, regeln deshalb den Aufbau sozialer Systeme. So kann man den Prozeß der soziokulturellen Evolution begreifen als Umformung und Erweiterung der Chancen für aussichtsreiche Kommunikation, um die herum die Gesellschaft ihre sozialen Systeme bildet; und es liegt auf der Hand, daß dies nicht einfach ein Wachstumsprozeß ist, sondern ein selektiver Prozeß, der bestimmt, welche Arten von Systemen möglich werden und was als zu unwahrscheinlich ausgeschlossen wird.“ [2001:79/80]

Für jeden der sich mit gesellschaftlicher Entwicklung – unter anderem mit arbeitsteiliger Strukturierung (Spezialisierung und Austausch) und funktionaler Differenzierung befasst – klingt die Formulierung plausibel. Ja, das Konzept struktureller Schießung erweist sich nicht nur dem flüchtigen Blick plausibel. Arbeitsteilung findet sich als ein Eckstein in nahezu jedem nennenswerten Ansatz moderner Soziologie z.B. mechanische/organische (Durkheim), strukturfunktionale (Parsons) sozialstrukturelle (Claessens, Popitz), Strukturation (A. Giddens), …

Das Luhmannsche Modell – mittels eigener funktionaler Kodierungen (Macht, Liebe, Kunst, Bildung, .. ) und organisationslogischer Operationsweisen programmierter Verfahren (Entscheidungen legitimierende Leistungsverfahren wie Zweck- und Konditionalprogramme) – unterstützt die Autonomiebestrebungen der Vertreter einzelner Subsysteme, die sich jegliche Einmischung von Uneingeweihten verwehren dürfen, ad libitum auf luhmannsche Systemtheorie gestützt.

Gleichzeitig aber fragt sich, wer setzt die Kommunikation in Gang – die Kommunikation? Wer Luhmann liest, dürfte vermuten, dass dieser Geist nicht in die Falle einer petitio principii laufen wird. Zwar nimmt er die denk-notwendige Einheit der Differenz oder Unterschiedlichkeit zum Anlass mit der einwertigen Logik eines Georg Spencer-Brown zu flirten und strapaziert zugleich eine dreistufige Beobachter-Hierarchie, um unvermeidbare Paradoxien eines derart komplexen Phänomenbereiches wie den der „Gesellschaft der Gesellschaft“ zu entfalten, aber einen Zirkelschluss sucht man vergeblich.

Wenn Luhmann auch im Rahmen einer autopoietischen Fassung seiner Theorie sozialer Systeme (Zu einer Theorie sozialer Systeme lautete der Titel des 1967 erschienenen Aufsatzes in der KZfSS Heft Nr. 19, sozusagen der Grundstein zu seinem Lebenswerk, das er 1997 mit der Gesellschaft der Gesellschaft abschließt) derart auschließlich auf Kommunikation als Reproduktionsoperation rekuriert, dass er auf einen unmittelbaren Bezug auf Leben und Bewußtsein verzichten kann, behauptet er damit dennoch nicht, dass Kommunikation ohne Leben oder Bewußtsein möglich sei.

Doch genauso wie die Inanspruchnahme von Kommunikation für ein menschliches Bewußtsein nicht auf der Ebene elementarer Reproduktion von neuronalen Prozessen unmittelbar stattfindet, sondern immer vermittelt durch Medien wie Sprache, nehmen in seiner Theorie Bewußtseine und Leben stets nur mittelbar vermittelnd an Kommunikation teil. Sie konstituieren Kommunikation jedoch nicht.

Nur Kommunikation im Anschluss an Kommunikation konstituiert Kommunikation und reproduziert Gesellschaft und ihre Subsysteme (von denen offen bleibt, wieviele es gibt, jedenfalls sind sie per definitionem jedes für sich genommen in der LS überwiegend monofunktional modelliert, einzig Familien spricht Luhmann mehrfach gelagerte Leistungen i.e. Funktionen z.B. Versorgung, Bildung, Politik … und damit einen multifunktionalen Sonderstatus zu. Unschwer fällt der diametrale Bezug zum Supersystem Gesellschaft ins Auge und die Familie avanciert zum Sous-System).

Und weiters, auf der Basis von generalisierten Medien der Kommunikation wie z.B. Geld, Wissen, Macht,…. lässt sich die innerhalb bestimmter Teilsysteme bevorzugte Typ der Kommunikation mittels Kodierungen rekonstruieren und auf diesem Wege, das Funktionieren erstaunlich sparsam erklären. Dann schließt beispielsweise nur Zahlung an Zahlung an und konstituiert Kommunikation in adäquater Weise für das Subsystem Wirtschaft. Oder Glaube an Glaube für Kommunikation u. Reproduktion der Religion, Artefakt an Artefakt für die Kunst, Liebe an Liebe usw.

Was aber ist mit Leben und Kognition bzw. Bewusstsein? Die bestreitet Luhmann genausowenig wie die Tatsache, dass Kommunikation, wo immer sie stattfindet ein Medum benötigt, um in einer gewissen Form vollzogen werden zu können oder die physikalische Tatsache, dass während der Kommunikation Energie verbraucht wird.

Mit anderen Worten Leben und Bewußtsein sind strukturelle mediale Voraussetzungen, ohne die die autopoietische Operation Kommunikation nicht möglich wäre.

Gleichwohl abstrahiert Luhmann von psychischen Systemen und Bewusstseinsprozessen auf systemische Strukturen. Aus theoriebaulichen Präferenzen und kapazitativen Restriktionen stellt er von Handlungsrationalität älterer Theorieprovenienz auf Systemrationalität um, d.h. er benötigt weder Leben noch Bewusstseine i.e. psychische Systeme zumindest nicht als integrale Bestandselemente seiner Theorie.

Wie dargelegt, werden beide als veränderliche und austauschbare periphere Momente in der Umwelt der Kommunikation angesiedelt. Diese Konzeption hat befremdliche Konsequenzen, wie sie etwa in der Behauptung gipfeln, nur die Kommunikation könne kommunizieren. Da Kommunikation als fortgeführte Operation soziale Systeme konstituiert, dabei nicht aus Personen, sondern bestenfalls aus ihren mitgeteilten Beiträgen besteht, verschiebt Luhmann lediglich den Akzent. Statt den partikularen Ausdruck des singulären Beitrags – wie herkömmlich in psychologischen wie linguistischen Konzeptionen – betont Luhmann den Wirkeffekt von Beiträgen als Differenzen, die in der Anschlussoperation einen weiteren Unterschied machen können. Der Impakt ist aber eben nicht zwangsläufig, noch auch müssen die Wirkeffekte zwingend eineindeutig ausfallen. Die Folgen kommunikativer Verflechtung sind kontingent gelagert, was einmal mehr ein Ausdruck dafür darstellt, dass Ausgang und Verlauf der Kommunikation in ungewisser Weise angelegt sind. Nicht nur Zwischenfälle sorgen für Wendungen mit durchaus überraschenden Folgen, es kommt – und zwar weder zufällig noch notwendig vor, dass rationale Entscheidungen immer wieder und bis auf weiteres irrationale Folgen zeitigen, deren Bearbeitung den intendierten Aufwand an Zeit und Kapital um ein Vielfaches übersteigt.

Die Frage lautet deshalb vielmehr, zumindest theorieimmanent gefasst: Gelingt es psychischen Systemen (oder Leben) die fortlaufende Kommunikation als gesellschaftlichen Reproduktionsmodus zu beeinflussen, zu irritieren oder gar zu zerstören? Aufgrund ihrer spezifischen Konstitution sind PS dabei auf Bewusstseinsleistungen d.h. Denken, Fühlen, Wollen (habituelle Dispositiva) und Wahrnehmung allgemein (Kognition) angewiesen. Psychische Systeme nehmen wahr (bemerken und vergessen), handeln, erleben und verhalten sich aus eigener wie fremder Sicht auf der Basis von Einstellungen (denken), Emotionen (fühlen), Kenntnissen (wissen), Fähigkeiten (können) und Motiven (wollen).

Kognition und Disposition konfigurieren die intersystemische „Nahttstelle“ zur Kommunikation oder elementar gefasst, zu bestimmten Kommunikationen (z.B. politischen, händlerischen, freundschaftlichen, geschäftlichen, familialen, vertrauten, intimen,…). Denn in der Kommunikation geht es stets um gesellschaftlich präfigurierte Inhalte, Bedeutungen und Motive abhängig von systemischen Kontexten.

Dagegen und im diametralen Kontrast dazu – zumindest unter der Perspektive der Ersetzbarkeit der lebendigen bzw. kognitiven Entitäten – kommunizieren Gesellschaften und Organisationen weitgehend unabhängig von einfärbenden Singularitäten, situativen Partikularitäten und individualen Sonderheiten, ja man ist mit Luhmann versucht zu postulieren, dass genau dieses Absehen von „Individualitäten“ in der Logik sozialer Systeme begründet liege.

Die Teilnahme am größeren oder umfassenderen Kreis – im Sinne eines maßgeblichen Beitrags oder einer zielgerichteten Manipulation – setzt verstehen bzw. antezipieren der lenkenden gesellschaftlichen Relevanzen voraus. Nur durch adäquate Deutung der Ordnung der Kommunikation (Kontext z.B. Wirtschaft, Politik, ..Situation z.B. Transaktion, Regeln z.B. Produktion-Konsumption, Regierung-Opposition usw.) gelingt ein sinnfälligen Anschluss (sachlich, zeitlich, soziokulturell).

Der Anschluss ist die Bedingung der Möglichkeit für die Fortführung. Sie wiederum ist an gesellschaftlich i.e. kommunikativ vorkonfigurierte Texturen geknüpft und darauf angewiesen. Ausschließlich mustergültige Mitteilungen – im Sinn von adäquaten Informationen – haben eine Chance überhaupt gehört, verstanden und angenommen zu werden. Nur Beiträge, die bestehende – und nicht beliebig wandelbare – Bedingungen erfüllen bzw. mit entsprechende Passungen ausgestattet sind, besitzen das potenzielle Vermögen, die Kommunikation in eine andere Richtung zu lenken. Und wohlgemerkt, das Anschließen funktioniert immer nur im Rahmen bestimmter Schwankungsbreiten oder Definitionsintervalle. Das schließt Modifikationen dieser Rahmungen selbst keineswegs aus. Die dazu vorauszusetzenden Beiträge allerdings, die das Potenzial besitzen, zu Wechselfällen führen bzw. Wandlungen bewirken können, sind „epigenetisch“ vorkonfiguriert durch den status quo ante. Die Gestalt/Form ist zwar kontingent, keinesfalls jedoch beliebig.

Organisation und Entscheidung

In Organisationen, die als mediäre Instanzen zwischen den Teilsystemen vermitteln z.B. Polizei und Staatsanwaltschaft bestehen solche Präfigurationen aus Entscheidungen, Hierarchien und Personen/Stellungen. Mit anderen Worten nur durch hochselektive Inhalte ihrer Beiträge im Anschluss an kommunikativ vorgeformte und vermittelte Kontexturen sind psychische Systeme fähig die Kommunikation resp. die subsystemspezisifischen Kommunikationen zu verändern. Im Umkehrschluss: Beiträge können Kommunikation potenziell und aktuell beeinflussen oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Beiträge Einfluss gewinnen, steigt in dem Maße an, wie die Beiträge anschlussfähig im Sinne von kompatibel zu den systemischen Kontexturen sind. So können Richter Recht sprechen und verfügen von Amtswegen über das Recht Rechtunklarheiten zu interpretieren, nicht aber eine Staatsanwältin noch ein Polizist.

In der ursprünglichen Ausgangslage – vor jeder gesellschaflichen Entwicklung – handelt es sich um eine zweiwertige Logik: der Beitrag ist wirksam oder nicht. Im Laufe der Entwicklung und abeitsteilig und funktionalen Differenzierung wird die vergleichsweise hohe Unwahrscheinlickeit der unterstellten Ausgangslage durch die zivilisatorisch-technische Entwicklung bearbeitet.

Hier sind gruppenspezifische Sprach- bzw. Schriftsysteme zu nennen, Keilschrifttechnik, Tontafel usw. Buchdruck, Speichermedien, Telekommunikation, Internet usw. In Hinblick auf diese Entwicklung gibt es einen Zugewinn an gelingender Kommunikation, der sich in spezifischer Ordnungsleistung niederschlägt. Luhmann beschreibt diese Ordnungsleistung im Anschluss an Talcott Parsons als „generalisierte Kommunikationsmedien“, die sich z.B. Macht, Geld, Gesetze, Ansehen, Tabu, … manifestieren.

Was hat die „Gesellschaft“ – oder in sozio-historicher Perspektive gefragt – was haben die Gesellschaften, die Nationen, Stämme, Clans, Familien mit solchen Medien in Bezug auf ihr Mit-, Gegen., Über- und Nacheinander erreicht?

Die Situation hat sich dahingehend verbessert, dass Verständigung nicht mehr zufällig auftritt, aber trotz eingesetzter Verständigungsmedien auch nicht zwangsläufig gelingen muss. Verständigung und damit die Ausbildung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft kann potenziell auf eine oder eine andere Weise geschehen. Die verringerte Unwahrscheinlichkeit bei gleichzeitiger Unbestimmbarkeit der konkreten Ausformung bezeichnet Luhmann als Kontingenz. Sie beziehungsweise, die durch Kontingenzlagen bedingte Komplexität wird durch Differenzierung reduziert und erscheint als sekundäre Komplexität in der folgenden Instanzebene.

Aber unter einer operativen Sicht rekonstruiert Luhmann Kommunikation als fortgeführten Prozess aus drei selektiven Teilaspekten: Information, Mitteilung, Verstehen und ihrer rekursiven Kongruenz.