Wahlfreiheit

Vor Jahren beklagte sich eine meiner Dozentinnen über das Niveau und die Qualität des Frühstücks-Fernseh-Programms, zu dem man uns jeden Morgen nötige. Meine Bemerkung, man könne doch jederzeit ausschalten, lehnte die promovierte Sozialpsychologin mit dem Hinweis ab, dass sei deshalb nicht möglich, weil man doch informiert bleiben müsse.

Die Episode illustriert, obwohl wir die Wahl – grundsätzlich betrachtet – hätten, haben wir sie nicht. Konventionen, Gewohnheiten, Moden, Trends,… schienen und beschränken unsere Möglichkeiten.

Die Bedingungen – und das sind “die guten Nachrichten” – der Möglichkeit zu entscheiden, legen wir selbst fest. Jenseits der Frage, wie wir uns – von Fall zu Fall – entscheiden, können wir grundsätzlich entscheiden, ob wir uns entscheiden oder darauf verzichten. Wann immer diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, fehlt der Spielraum für Entscheidung. Bedingt durch den Mangel an Möglichkeit, müssen wir – wie im Beispiel die Dozentin – zwischen Optionen wählen, die durch andere – unsere Eltern, Großeltern, unser Stammesoberhaupt, die Medienmacher, Meinungsbildner, Versuchsleiter, Chefs, Kollegen – oder uns selbst – durch eingelebte bzw. verkörperte Ablaufvorgänge, Wahrnehmungs-, Handlungs- und Erlebnismuster, Instinkte, Reflexe, Gewohnheiten – bereits entschieden sind. Wir haben zwar die Wahl, können aber nicht entscheiden. Wir müssen unter Vorgaben wählen und können weder etwas ganz anderes tun noch nicht-wählen.

Fassen wir die Einsicht konstruktiv, könnten wir – und ich bin überzeugt Menschen können – allem, was im Rahmen unseres Einflusses steht mit einer wahlfreien Bewusstheit begegnen. Versuchen Sie es einmal. Betrachten Sie, was Sie auch tun und lassen – sagen wir fünf Minuten in der Stunde, eine Stunde am Tag, einen Tag in der Woche und vielleicht schaffen Sie eine ganze Woche im Monat -, ohne zu qualifizieren. Was oder wer Ihnen auch begegnet, was Ihnen zustößt und widerfährt, was Sie erleben, treffen Sie die Wahl, nicht zu wählen. Schauen und staunen Sie, was geschieht.

Vielleicht befähigt uns allein der Versuch bereits, das Gespinst aus Beurteilungen und Erwartungen zu sehen, das wir selbst um uns und unser Leben aus Vorstellungen und Erfahrungen spinnen.

Aber, wir müssen doch informiert bleiben, um nicht dumm da zu stehen! Können wir, müssen wir aber nicht zwingend auf belastende Art und Weise. In jedem Fall vermindern wir – allein durch schiere Ignoranz – den unmittelbaren Einfluss, den Erlebnisse und Handlungen bislang auf uns ausüben konnten, um ein Vielfaches. Einfach weil wir eine Trennlinie ziehen, entsteht ein Ort des Friedens in unseren Herzen und um uns. Die Belastung durch uneigentliche Wahl-Entscheidungen sinkt deutlich spürbar.

Genießen Sie die Stille und ruhen Sie in ihrem Herzen.