LEBENSSPIELE: BEWEGUNGEN EIGENER ART

In der Biologie, der Wissenschaft vom Leben verhält es sich nicht anders als in anderen Wissenschaften. Der zentrale Gegenstand der Lebensforschung bleibt trotz aller Bestimmungsversuche erstaunlich unterbestimmt und schleierhaft.

Ein Phänomen, das sich mit Bezug auf den Wissenschaftstheoretiker Sir Raymond Popper möglicherweise mit der Vorläufigkeit unseres Wissens erklären lässt. Wir wissen heute viel mehr über Abstammung und Vererbung als noch vor 100 Jahren. Gleichzeitig mit der Menge und Tiefe unseres Wissens scheint unser Unwissen zu wachsen. Dabei ist Leben etwas, was uns Menschen wie allen anderen Lebewesen ja gerade eignet.

Unter einem reproduktiven Blickwinkel sind Lebewesen bezogen auf ihr eigenes Fortbestehen und die dabei erforderlichen Vorgänge geschlossen. Der menschliche Körper ist durch die Haut von seiner Umgebung abgegrenzt, durch Skelett, Muskeln und Sehnen bewegt und gehalten. Für einen Betrachter erscheint jedes Lebewesen als Entität, klar und deutlich abgrenz- und bestimmbar durch Bewegungen, Erscheinung und Äußerungen.

Unterbricht zufällig oder angelegentlich ein interner Kreislauf den Zellstoffwechsel, stirbt nicht nur der Organismus. Es gibt auch keine Einheit mehr, die einen Vorgang an den nächsten anschließt, sich durch sich selbst bewegt, sich von der Umwelt unterscheidet und mit der Umgebung interagiert. Im Unterschied zur konventionellen Sicht einseitiger Umweltdeterminiertheit und in Ermangelung allgemeiner Merkmalsklassen definieren die Neurobiologen H. Maturana und F. Varela “Leben” deshalb als “wirksames driften” oder “effektives Operieren im jeweiligen Umweltmilieu”. Das klingt zugegebenermaßen recht pragmatisch, zumal sie primär den zellulären Metabolismus in den Fokus ihrer Bestimmung rücken. Gleichwohl können wir die Bestimmung durchaus angemessen auch im Rahmen anderer Vorgänge anwenden.

Der menschliche Organismus “arbeitet” reibungslos bei 37° Celsius, der Stoffwechsel klappt, das Blut pulsiert und wir fühlen uns fit. Eine Region des Zwischenhirns, der Hypothalamus reguliert die Körpertemperatur und hält sie konstant innerhalb einer bestimmten Bandbreite.

In diesem Sinn ist die Temperatur des Körpers eine eigenwertig bestimmte Größe in Bezug zu eigenen wie fremden Schwankungen. Messungen von 36,5°-37,4° Celsius gelten als normal. Bei Kleinstkinder liegt die normale Körpertemperatur bei 37,5° Celsius.

Steigen die Temperaturen über 38° Celsius fühlen wir uns unwohl, das Herz schlägt härter und schneller. In der Folge einer Unterkühlung kann die Körpertemperatur bis auf 28° C sinken. Verlangsamter Herzschlag und Wegdämmern stellen bekannte Symptome.

Betrachten wir Fieber im kritischen Grenzfall. Sobald es dem Organismus nicht mehr gelingt, die Temperatur unter 42° C zu dämpfen, zerfallen Eiweißbausteine und der betroffene Mensch stirbt. Oder Unterkühlung als unteren Grenzfall. Hält sich ein Mensch längeren Zeit im eiskalten Wasser auf, verlangsamt der Organismus den Herzrhythmus und die Atmung bis zum Herzstillstand. Der Mensch stirbt.

Mit anderen Worten, das menschliche Leben, was sich selbst durch die eigene Organisation bislang als fortlaufende Einheit aus Strukturen und Prozessen konstituiert, behauptet und integriert hat, zerfällt und degeneriert zu Umwelt. Leben können wir problemlos darstellen und wiedergeben als effektives Operieren einer Einheit im jeweiligen Medium.

Sind die ökologischen Rahmenbedingungen in Hinblick auf Unversehrtheit und interne Prozesse eines Organismus gewährleistet, funktioniert Leben bezogen auf essentielle Dynamiken wie z.B. zellulärer Metabolismus (Zellstoffwechsel), aus sich heraus. Einmal begonnen re-produziert ein Lebewesen sich fortwährend – biochemisch, vegetativ, somatisch … – bis es damit aufhört.

Strukturbedingte Verschiedenartigkeit als Quelle der Varietät

Lebewesen operieren abhängig von ihrer Organisation mehr oder weniger wirksam und überleben exakt solange, wie sie die eigenen Prozesse wirksam fortsetzen. Die Frage nach der Eigendynamik der Lebensprozesse hat zwei chilenische Neurobiologen dann in den 1980er Jahren motiviert einen Paradigmenwechsel vorzuschlagen. Sie bestimmten Leben durch die rekursive Operationsweisen der Lebewesen.

“Unser Vorschlag ist, daß Lebewesen sich dadurch charakterisieren, daß sie sich – buchstäblich – andauernd selbst erzeugen. Darauf beziehen wir uns, wenn wir ihre Organisation autopoietische Organisation nennen (griech. autos = selbst; poiein = machen).” Maturana, H. R., Varela, F. J., (1987): Der Baum der Erkenntnis, S.50f.

Solange ein Lebewesen vitale Strukturen und Abläufe erhält und im Wechsel mit bedeutsamen und veränderlichen Bedingungen – ihrem konkreten Milieu – immer wieder und bis auf Weiteres herstellt, operiert die Einheit effektiv: sie lebt weiter.

Die Organisation von Lebewesen gleicht anderen in Hinblick auf die autopoietische Dynamik der Selbstorganisation. Verschiedene Organismen unterscheiden sich jedoch durch unterschiedliche Strukturen und Prozesse (z.B. Pflanzen und Tiere) [vgl. a.a.O.:55] Im Unterschied zur evolutionären Modellannahme eröffnet das autopoietische Konzept nicht nur eine prinzipielle Relativierung der unidirektionalen Bestimmtheit durch Umwelt, wie sie bereits von Uexküll durch einfallsreiche Experimente aufzeigen konnte.

Das Prinzip autopoietischer Organisation ersetzt die einseitige umweltliche Bedingtheit lebendiger Formen durch ein wechselseitiges Einflussverhältnis. Damit spezifizieren Maturana und Varela die Möglichkeit der Erfahrung von Selektivität bilateral. Das Konzept verweist im gleichen Zug auf die Interaktion der Individuen einer Gruppe mit dem Lebensraum aufgrund topischer Zentrik wie auf die Autonomie von Lebewesen durch die rekursive Verfasstheit von existenziellen Strukturen und Prozessen.

Fazit: Lebewesen ko-evoluieren mit ihrer Umwelt. Sie selektionieren relevante Aspekte, ko-operieren mit signifikanten Entwicklungen ihres Einflussbereiches. Sie variieren ökologischen Einfluss, indem sie sich selbst ständig neuerschaffen und ihre Existenzbedingungen (Milieu) spezifizieren. Konsequenterweise ist für Maturana und Varela das besondere Merkmal von Organismen, nicht die Organisation an sich, sondern dass das einzigste Produkt ihrer Organisation die Organismen selbst sind. [vgl. a.a.O.:56]

Durch seine autopoietische Organisation schließt sich jeder Organismus auf der Ebene reproduktiver Prozesse gegenüber einer wie auch immer gearteten veränderlichen Umwelt ab. Und das ist notwendigerweise der Fall. Gelingt diese fortwährend hergestellte Schließung nicht mehr, endet der Organismus. Nur durch Schließung gelingt es die lebenswichtigen internen Strukturen und Prozesse (z.B. Metabolismus, Blutkreislauf) aufrecht zu erhalten, die das Über-Leben des Organsystems gewährleisten.

Alle Notwendigkeit zur strukturellen Geschlossenheit auf der organisationalen Ebene reproduktiver Erneuerung und Stabilisierung der Lebensprozesse, schließt nicht aus, dass Lebewesen offen sind für Ko-operation mit der Umwelt. Atmen und Nahrungsaufnahme sowie unterschiedliche Ausscheidungen und Signale deuten diese austauschende Zusammenarbeit im Verhältnis von Lebewesen und Umwelt an.

In beide Richtungen beobachtet man notwendig Umwandlungen. Denn es gibt keinen untransformierten Transfer von Einheiten aus dem System oder in das System, solange der Organismus lebt. Alles was ein Organismus aufnimmt, muss in eine Form gebracht werden, die kompatibel mit den Anforderungen der autopoietischen Verfasstheit des Lebens ist. In untransformiertem Zustand kapselt der Organismus das Aufgenommene als Fremdkörper ab. Sehr anschaulich schützt uns unsere Haut, indem sie Einflüsse filtert, manches aufnimmt anderes ausschließt. Nur das was durch die interne Struktur als zuträglich spezifiziert, entsprechend in Form gebracht wird, kann tatsächlich die neuronal-physischen Schranken passieren und verwertet werden. Jede andere Form der Aufnahme zerstört die autopoietische Lebensbasis.

So wie man von struktureller Geschlossenheit spricht, kann man die Kehrseite operative Offenheit nennen. In der Kybernetik spricht man von in-formationeller Offenheit. Doch dieser Austausch beruht, wie dargelegt, auf einer vorauszusetzenden Autonomie. Aus dieser Sicht wird deutlich, dass der Organismus das Verhältnis zur Umwelt autonom spezifiziert und seine Lebensbedingungen sprich Milieu dadurch definiert.

Informationelle Offenheit und operative Abgeschlossenheit bilden eine differentielle Einheit. Das klingt wie ein Widerspruch in sich (Paradox). Ein Paradox lässt sich nicht auflösen. Doch die Einheit der Differenz von informationeller Offenheit bestimmten Existenzbedingungen (Klima, Nahrung, Feinden etc.) gegenüber und operative Abgeschlossenheit zur autopoietischen Reproduktion des Organismus lässt sich, wie jedes Lebewesen und jede lebensfähige Art ipso facto zeigt, praktisch wirksam entfalten. Leben bedeutet effektives Operieren eines Organismus im jeweiligen Milieu.

Die Interaktion wie auch die möglichen Zustandsveränderungen eines Lebewesens oder einer Gruppe sich paarender Individuen können dabei fraglos von veränderlichen Größen oder Ereignissen der Umgebung ausgelöst oder angeregt, jedoch nicht im eigentlichen Sinn determiniert werden. Stets bestimmt die strukturelle Organisation, welche Auswirkung die jeweilige “Perturbation” auf das Lebewesen in seinem vor-Ort-und-So-Sein haben mag.

Aufgrund ihrer leibkörperlichen Organisation, d.h. strukturdeterminierter Aufbau- und Ablaufformen setzen sie erforderliche wie zugeschriebene Leistungen rekursiv um: “Zielerreichung”, „Antwortverhalten, “Instinktreaktion”, “Ein- und Umsichtiges Verhalten”, “Lernen”, “Entlastung”, “Erfüllung”, “Selbstbehauptung”, “Integration”, “Krisen”, “Zuspitzungen”, “Kampf”, “Flucht”, “Starre”, “Lösungen”, … und sie verzichten aufgrund eigenwertiger “Innerlichkeit” auf eine Realisierung in der gegebenen Situation.

Auffällig ist die Bezüglichkeit der Bestimmung von Leben auf sich selbst. Wird Leben und Sterben tatsächlich durch eigene Strukturen, Kreisläufe und Zustände bestimmt, so vielfältig Lebendiges auch organisiert sein mag? An dieser Frage scheiden sich die “Beobachter” in mindestens zwei Lager.

Die eine Fraktion beobachtet den Gegenstandsbereich – in unserer Erörterung, das Leben – unter der Perspektive, dass der Forschungsprozess den beobachteten Sachverhalt ablöst von allen möglichen Einflüssen durch den beobachtenden Betrachter, ebenso wie deren Vorurteilen und Überzeugungen.

Unter einer autopoietischen Sicht bestimmen Organismen ihren Existenzbereich. In erster Linie geschieht dies interaktiv aufgrund an für sie und ihre Lebensweise bedeutsame Bedingungen zurück. Diesen rekursiven Vorgang hat bereits Jakob von Uexküll Funktionskreis genannt und die “Planmäßigkeit” im Rahmen seiner Umweltforschung zu Anfang des 20.Jahrhunderts untersucht. Seine Arbeiten relativierten den anthropozentrischen Objektivismus der Physiologen seiner Zeit. Dazu später mehr.

Selbstverfasstheit von Leben tritt damit als zu berücksichtigendes Element in Relation zu Umwelteinflüssen. Die schlüssige Konsequenz besteht in der Annahme einer potenziellen Wechselwirkung zwischen autonomen Lebewesen und umweltlichen Rahmenbedingungen und zwar in beide Richtungen. Das mag man als Fortschritt oder als Paradoxiefalle auffassen. Nach meinem Dafürhalten ergänzt das Konzept der autopoietischen Verfasstheit von Lebewesen das evolutionäre Modell an der Stelle der Variation und befreit damit von der einseitigen Sicht eines unbedingt wirkenden Umweltzwanges, häufig verdinglicht als “Anpassungs- und Selektionsdruck”. Wer übt hier Druck aus, welche physikalische Größe erzeugt Pression und warum wirkt diese auf den Körper und zwingt zur Anpassung an die Verhältnisse als conditio sine qua non? Oder sprechen wir von Metaphern des viktorianischen Zeitalters?

Wenden wir die Aufmerksamkeit zunächst einem für die Lebensforschung oder Biologie zentralen Ansatz zu, der Synthese aus Abstammungslehre (Deszendenztheorie) und Vererbungslehre (Genetik). In der eingangs verwandten Sprechweise tendiert die neodarwinistische Evolutionstheorie zur Betonung eines genetisch bewegten Wandels.

Neodarwinismus

Obwohl Darwin seit über 200 Jahren tot ist, leben einige seiner Ideen fort. Das Stück Unsterblichkeit sei dem großen Naturforscher gegönnt. Was Charles noch nicht wissen konnte, will ich ihm auch gar nicht vorwerfen. So wusste er wenig über “Vererbungsgesetze”. Den unreflektierten Gebrauch seiner Metaphern heutiger Zeitgenossen empfinde ich dagegen bedenklicher: vom Überleben des Stärkeren, wenn nicht Stärksten und Angepassten hört man immer noch.

Dem habe ich etwas entgegen zu setzen. Weniger den lässlichen Umstand, dass die Wendung “the survival of the fittest” von Herbert Spencer stammt. Oder die Bevölkerungstheorie des Sozialphilosophen Thomas Malthus für die natürliche Selektion Hebamme war und Pate für sie stand. Die Metapher vom Überleben der Geeigneten leitet Menschen in die Irre. Halten sie sich daran, verfehlen sie den originär menschlichen Part an der Sonderstellung des Menschen: die Entwicklung zum Mensch unter Menschen und die “soziokulturelle” Geburt als Bedingung der Menschwerdung.

Charles Darwin erklärte die Entstehung der Arten mit einer Konzeption “natürlicher Zuchtauswahl”. [Darwin, Charles (1990). Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtauswahl. Originaltitel: On the Origin of Species by means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle of Life. 1859. Leipzig: Reclam]. Beide Metaphern, die der natürlichen Zuchtwahl und der Lebenskampf haben zusammen zur Verbreitung der Überzeugung geführt, dass die Natur stets die Lebewesen bevozuge, die am Besten angepasst und gleichzeitig konkurrierenden Individuen wie ihren Feinden/Gegnern überlegen seien.

Darwin selbst hat stets betont, dass ‘Lebenskampf’ hier als Metapher zu begreifen sei und “Kampf” ein Sammelwort für viele verschiedene Bedeutungen darstelle, daher wenig mit dem herkömmlichen Verständnis gemein habe. In ihrer Einfachheit und Zweckendlichkeit (Teleologie) hat der Anklang etwas Gewinnendes für sich. Man erklärt alles aktuelle Leben, jede existierende Art bis hin zu Individuen als ihre lokalen Vertreter (z.B. jener Buchenbaum auf jener Waldaue) einfach mit dem Hinweis auf den ‘Fit’ mit der Umgebung. Die Anpassung an die Lebensbedingungen resp. der gelungenen Behauptung und Durchsetzung gegenüber anderen – Individuen der eigenen Art wie auch feindlichen Vertretern – stellen die Säulen des Ansatzes.

Was einst existierte und nun nicht mehr da ist, war schlecht angepasst oder/und zu schwach, sich zu behaupten [Vgl. Das Aussterben der Arten durch natürliche Zuchtauswahl. Darwin 1990:120f]. Umgekehrt was an Lebewesen lebt, muss überlebt haben und geeignet sein, den Fortbestand zu sichern. Denn schließlich ist es bei der Reproduktion ipso facto erfolgreich gewesen. Dass verschiedene Arten existieren und andere Arten ausgestorben sind, gilt als vergleichsweise einfachster Befund zum Beleg der Theorie.

In verkürzter Form lässt sich Überlebensfähigkeit als Passung oder “Eignung” (engl. Fit) einer Spezies im Verhältnis zu den herrschenden Umweltbedingungen fassen, Konkurrenz um Lebens- und Futtergründe. Insgesamt aber – so die These von Thomas Malthus – da sich die Spezies im Lebenskampf behauptet, schreibt man ihr Fähigkeiten wie Durchsetzungskraft und Stärke zu.

Noch 2003 erlebte ich selbst Vertreter der Biologie und Ökologie analog argumentieren, als sie den regionalen Pflanzen- und Kleintierbestand herleiteten. Der Erklärungswert erschien vor dem Hintergrund von Wissenschafts- und Erkenntnistheorie zwar äußerst dürftig, weil man einen reduntanten Sachverhalt strapazierte. Wenn wir den Gehalt verkürzen, wird die Redundanz offensichtlich: was existiert, hat überlebt, sonst wäre es nicht da.

An diesem Zusammenhang wird ein grundsätzliches Problem deutlich: die Versuchung Sachverhalte auf eine zirkuläre Beweisführung zu stützen. Formal betrachtet, handelt es sich bei der natürlichen Selektion um eine Behauptung, nicht um einen Beweis. Da Überleben als Beweisgrund beansprucht wird (petitio principi), jedoch nicht eigens nachgewiesen wird, warum die Population im allgemeinen und dieses Individuum im speziellen überlebt und nicht eleminiert wurde (Satz vom zureichenden oder bestimmenden Grund).

Synthese der Evolution und Genetik

Heute vertreten die Anhänger der Synthese aus Evolutionstheorie und Genetik allerdings einen Darwinismus neuerer Art. Variation und Selektion spielen wie in Darwins Entwurf eine zentrale Rolle, untermauert durch nuklearphysikalische Bestimmung der Erdzeitalter und molekularbiologische Entdeckungen in Hinblick auf die Vererbungslehre (Genetik).

Eine sehr aufschlussreiche Einsicht belegten die Untersuchungen von Osswald Avery et al. 19441 mit Erregern von Lungenentzündung. Lebewesen codieren die Erbinformation nicht in Proteinen, sondern in Nukleinen der sogenannten DNA (Desoxyribonukleinsäure). Ein Meilenstein für das Verständnis der Vererbung. 1953 entdeckten James Watson, Francis H. Crick, Rosalind Franklin dann die Doppehelix-Struktur der DNA, das Genom, das die ersten beiden schließlich entschlüsselten.

Lassen wir den “Darwin des 20. Jahrhunderts” Ernst Mayr stellvertretend zu Wort kommen und die neodarwinistische Position erläutern:

“Da die Begriffe »Transmutation« und »Transformation« für diese neue Theorie nicht geeignet waren, bezeichnet man Darwins Theorie der natürlichen Selektion am besten als Theorie der Evolution durch Variation. Danach entsteht in jeder Generation eine ungeheure Fülle genetischer Abweichungen, aber von der Riesenzahl der Nachkommen überleben nur wenige Individuen, die dann die nächste Generation hervorbringen. Die Theorie postuliert, dass die Individuen mit der höchsten Überlebens- und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit aufgrund ihrer besonderen Merkmalskombination am besten angepasst sind. Da diese Merkmale im wesentlichen von Genen bestimmt werden, ist der Genotyp solcher Individuen in der Selektion begünstigt. Und da immer wieder die Individuen (Phänotypen) überleben, die auf Grund ihres Genotyps am besten mit Umweltveränderungen fertig werden, ergibt sich ein ständiger Wandel in der genetischen Zusammensetzung aller Populationen. Das unterschiedlich gute Überleben ist zum Teil auf die Konkurrenz zwischen den neu kombinierten Genotypen innerhalb der Population zurückzuführen, zum Teil aber auch auf Zufallsprozesse, die sich auf die Genhäufigkeit auswirken. Die so entstandene Veränderung von Populationen nennt man Evolution. Und da alle Veränderungen sich in Populationen aus genetisch einzigartigen Individuen abspielen, ist die Evolution zwangsläufig ein stetiger allmählicher Prozess.” Mayr 2005[^3] Das ist Evolution. 113/114.

Da Darwin von Genen nichts wissen konnte, in Mayrs Darstellung der Evolutionstheorie den Genen jedoch eine prominente Rolle zukommt, spricht für die Weiterentwicklung des Ansatzes aufgrund neuerer Erkenntnisse (Vgl. Nukleinstruktur der Erbinformation Avery Oswald T. 1944). Die moderne molekularbiologischen Einsichten belegen demnach, was Darwin bereits postulierte: dass die Individuen mit der höchsten Überlebens- und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit aufgrund ihrer besonderen Merkmalskombination am besten angepasst seien.

Der implizite Vergleich und die Qualifizierung “am besten” ist nun keinesfalls zwingend noch aus Gründen der Analyse geboten. Etwas kritischer betrachtet: Fakt ist, dass verschiedene Arten existieren und wir Belege finden, dass eine Menge weiterer Arten einst existiert hat und heute ausgestorben sind. Richtig ist auch, dass bei geschlechtlicher Fortpflanzung, jedes Elternpaar im Durchschnitt mindestens ≥ 2 Nachkommen zeugen muss und diese auch überleben müssen, soll die betrachtete Bevölkerung nicht aussterben.

Auf all den Planeten und Fixsternsystemen, die Menschen bislang erkundet haben, gibt es relativ wenige mit Atmosphäre, noch weniger besitzen Verhältnisse unter denen überhaupt etwas leben kann, und noch weniger zeigen Verhältnisse unter denen unsere Spezies leben könnte. Leben – so sagt man – sei eine Einmalerfindung. Evolution stellt nun – in der Diktion des Neodarwinismus – den Versuch dar, die Vielfalt des Lebens vollständig unter Rückgriff auf die Selektions-Variations-These und Genetik zu erklären. Unabhängig von allen Irrtümern, die solch ein Projekt auch zeitigen mag, allein der Versuch verdient größten Respekt.

So gilt für die belebte Erde, dass evolutionär betrachtet, sowohl die Vielfalt der Arten (Kladogenese) als auch eine Fort- oder „Höher-„entwicklung einer Art (Anagenese) durch “Differenzierung und Spezialisierung” erklärt wird. Beide Genesen laufen weitgehend unabhängig voneinander ab (Mayr 1991). Sie basieren jedoch auf der gleichen Erklärungsgrundlage: dem Entwicklungs-Prinzip genetisch bedingter, körperlich optimierter Anpassung und umweltlicher Selektion. Das bedeutet keineswegs einen Trend zu immer komplizierteren und vollkommeneren Lebensformen. Es kommt durchaus vor, dass sich die Populationen in einem begrenzten Territorium auf einem relativen Niveau weitgehend stabilisieren und die Evolution zum Stillstand kommt. Die Tier- und Pflanzenwelt auf dem australischen Kontinent vor der Kolonialisierung bietet dafür ein anschauliches Beispiel.

Der neodarwinistische Ansatz setzt einzig auf Aussonderung lebensunfähiger i.e. schlecht angepasster Varianten und die Bewahrung geeigneter, also i.w.S. lebensfähiger Phänotypen. Ein natürlicher, stochasticher Prozess, der Genmaterial der überlebenden und fruchtbaren Individuen bevorzugt “selektioniert”. Anpassung im Verlauf der Stammesgeschichte heißt, dass sich die Vertreter der jeweiligen Art in die seitens der Umwelt gebotene resp. bestehende Chance hinein entwickeln. So verbessert sich etwa bei Fluchttieren z.B. Antilopen der afrikanischen Savanne allein durch Aussonderung der langsamen und reaktionsschwachen Individuen in der Auseinandersetzung mit natürlichen Feinden wie z.B. Löwen u.a. Beutetieren, die Fähigkeit schnell zu laufen2.

Da sich ausschließlich überlebende Individuen fortpflanzen können und die selektionierten über eine geeignete Merkmalskombination verfügen, findet sich der Effekt, den Darwin schon bei Tier- und Pflanzenzüchtern beobachten konnte. Die Auswirkung spiegelt sich in Fortbestand und Fortpflanzung wieder, da sich die genetisch bestimmte Überlegenheit der sich behauptenden Individuen vererbt. Insgesamt erweisen sich die natürlich selektionierten Populationen, so die weiter strapazierte Hypothese, besser geeignet für unterschiedlichsten Umweltbedingungen und Anforderungen eines bestimmten Lebensraumes. Ein weiteres Ergebnis des Selektions-Variations-Mechanismus zeigt sich in der biologischen Vielfalt der Arten. Sie ist das Resultat der Aufspaltung entwicklungsgeschichtlicher Abstammungslinien vgl. z.B. Hominiden.

Wer möchte an dieser schlussendlich stimmigen “Logik” Zweifel anmelden?

Über das individuelle Überleben, wie auch den kollektiven Fortbestand einer Art bestimmt ihre über körperliche Merkmale her- oder ableitbare Umwelt-Eignung/Passung d.h. Fitness. Sie begünstigt das kontinuierliche Sich-Behaupten der Vertreter einer Gen-Klasse im Lebenskampf.

Damit aber, so argumentiert die verbreitete Kritik, modelliert man Lage und Möglichkeiten lebender Systeme zu überleben im Verhältnis zu ihrer Umwelt, eindirektional zu Gunsten der Umwelt und der Körperanpassung. Der schwache, körperlich ungeeignete Phänotyp muss sterben und unangepasste Populationen gehen notwendig unter, es sei denn, die Fortpflanzungsrate liege außerordentlich hoch, so dass trotz hoher Sterberaten immer genügend Individuen sich weiter fortpflanzen können. Mit diesem Modell verwundert es kaum, wenn nicht wenige glauben, Evolution auf ein “Survival of the Fittest” verkürzen zu können und anschließend als Überleben der Stärksten missdeuten.

Aber ernsthaft und ohne polemisch zu sein, was ich tatsächlich für bedenklich halte: Das unterlegte Modell von genetischer Rekombination und phänotypischer Selektivität ignoriert a) die Möglichkeit zu lernen, dogmatisiert b) über genetische Grundlegung das Körper-Anpassungs-Prinzip und schließt c) alternative Entwicklungspfade und -prinzipien kategorisch aus.

Weder die Metapher von der Zuchtauswahl noch des Lebenskampfes macht Menschen schon zu Gefangenen des Körperprinzips. Doch ihr folgen rasch irrtümliche Vorstellungen, z.B. dass einseitige Anpassung und zielgerichtete Einflussnahme zuverlässige Garanten von Erfolg und Überleben seien. Noch nicht einmal auf die natürliche Natur bezogen, trifft das metaphorisch eingepackte Wirk-Modell zu.

Da die Vertreter des Neodarwinismus – und wohlgemerkt weder die Natur noch die Evolution – eine Position einnehmen, die jeden anderen, systematisch durchaus denkbaren Weg der Entwicklung – z.B. anpassende Veränderungen – kategorisch ausschließen, bleiben nur zwei Optionen: Konkurrenz und Zufall, z.B. Ausrottung von Arten durch umweltbedingte Zwischenfälle. Annahmen bzgl. einer Anpassung durch Lernen, Akklimatisation, Gewohnheitsbildung und ähnliches spielen hier nicht nur keine Rolle, sie sind rigoros auszuschließen.

Tatsächlich jedoch überleben immer auch Schwächere, weniger Durchsetzungsfähige und nicht unbedingt dominant-überlegene Vertreter und Arten. Und auch diese pflanzen sich fort. Woran dies im Detail liegt (u.a. erforderliche Varietät, Ashby 1942, Waddington, Baldwell, Bateson) erwartet genauere Analysen und Erklärungen. Zwei Aspekte scheinen mir von grundsätzlicher Bedeutung: Diskontinuitäten und Nischen. Diskontinuitäten oder Sprünge führen zu oft katastrophalen Brüchen für die Fitten. Plötzliche und radikale Veränderungen der Umwelt führen zum kompletten Aussterben der Starken und Fitten (z.B. Dinosaurier). Um diese Ausnahmen der Regel zu integrieren, strapazieren Darwinisten den Zufall. Sie unterscheiden Hintergrundaussterben und Massenaussterben. Übersicht Tabelle Artensterben oder andere Formen natürlicher Selektion Nischen dagegen bieten schon im Normalverlauf, dann aber auch bei unregelmäßigen Einbrüchen, insbesondere den flexibleren Individuen und Gruppen Überlebensräume, die Durchsetzungsfähige nicht besetzen müssen oder im kritischen Verlauf faktisch nicht beanspruchen können. Das bedeutet zwar, dass auch die Schwachen von ihrer Umwelt abhängen, aber deutet zugleich auch, dass Flexibilität und Agilität wichtige Faktoren bei der Frage des Überlebens unter herrschenden Bedingungen darstellen. Ausweichen und Gestalten sind zwei Aspekte davon, ein dritter, vielleicht beide umfassender Aspekt ist Lernen.

Da die Bedingungen innerhalb bestimmter Grenzen schwanken können, ohne sich für die in Frage kommende Art als definitiv lebensfeindlich zu erweisen, sollte ich besser von Schwellwerten zum Überleben sprechen. Je entwickelter eine Art, umso unwahrscheinlicher erscheint es, dass geeignete Bedingungen gegeben sein können, d.h. ein geeignetes Milieu mit erforderlichen Schwellwerten überhaupt existiert. In dieser Annahme klingt die wechselseitige Bedingtheit, die doppelbahnige Beziehung bereits an, die das Erklärungsprinzip der Autopoiese favorisiert. Und die fortgesetzte Differenzierung und Spezialisierung thematisiert die potenzielle “Sackgasse”: je besser der Fit umso größer die Abhängigkeit von umweltlichen Wandlungsphänomenen. Anpassung mag zwar den Fit weiter ausbauen, verfestigt aber auch in einseitiger Weise die Konstitution.

Fest zu halten ist, dass Überleben auch für weniger spezialisierte und optimal angepasste Erscheinungsformen möglich scheint. Indem das Konzept und die Modellierung allerdings indifferent spezialisierte und schwächere resp. vergleichsweise unterlegene Individuen und Spezies im Blick auf ihre theoretisch abgesprochene “Lebensfähigkeit” deklassiert, passen anders lautende Belege nicht ins Bild. Per Definition werden sie – und wurden bereits – “eleminiert”. Andere Phänomene des Artensterbens entziehen sich dem erklärenden Zugriff, wie im Beispiel der Vernichtung von Arten durch Zufälle, Katastrophen und weitere Kalamitäten.

Nicht nur Menschen überleben individuell wie kollektiv ohne zwangsläufige Unterordnung, noch zieht ihre mangelnde Anpassung notwendig ein Aussterben nach sich. Im Gegenteil zumindest bis auf weiteres. Wie dem auch sei, wichtig erscheint mir die Ausweitung des vorgestellten evolutionären Konzepts, das Adaption als notwendige Bedingung formuliert und genetisch rahmt, in Hinblick auf zwei fundamentale Einseitigkeiten: (1) der exklusiv genetisch determinierte unidirektionale Einfluss der Umwelt auf Lebens-, Bestands- und Reproduktionsfähigkeit von Lebensformen (2) die zwingend erscheinende Exklusivität natürlicher Selektion der “geeigneten” Phänotypen durch Rekombination genetischer Varietäten

Darin besteht einerseits die Einfachheit und Stärke des neodarwinistischen Ansatzes. Je weniger Voraussetzungen eine Theorie benötigt, um eine Vielzahl von Phänomenen in ihrem Zustandekommen und ihrer Wirkweise zu erklären, umso höher wird sie bewertet (William Ockham). Der scholastische Grundsatz – auch bekannt als Ockhams Rasiermesser – gilt auch heute und wird zur Beurteilung wissenschaftlicher Theorien verwandt. Allerdings liegt in der Engführung eine gewisse Rigidität des Ansatzes begründet, die zu theoriebedingten Fehlschlüssen führen könnte und auch führt, wie ich versucht habe anzureißen.

Welchen Vorteil bietet der autopoietische Ansatz für die evolutionäre Perspektive? Der evolutionäre Dreisatz Variation, Selektion und Restabilisierung wird erweitert zu gunsten einer kybernetisch angemesseneren Fassung. Sie setzt bei der Ko-existenz von System und Umwelt an. Von dieser wechselbezüglichen Differenz optioniert der re-formierte Ansatz für Ko-evolution qua Ko-operation. Dadurch entsteht ein Möglichkeitsraum für Ko-variation, Ko-selektion und Ko-formation.

Das Verhältnis von System und Umwelt lockert sich auf. Unabhängig von dem Sachverhalt, ob es sich um eine Beziehung zwischen organischen Systemen in Konkurrenz um gleiche Ressourcen oder das Verhältnis zwischen organischen Systemen und anorganischen Lebensraumbedingungen handelt. Durch kontingente Kopplung zwischen konkurrierenden Lebewesen ebenso wie im Verhältnis Lebewesen – Milieu entstehen offene Spielräume: Chancen und Risiken, Nischen, unwahrscheinliche Formen von Leben. Das bedeutet und unterstreicht zunächst nur, was wir heute wissen: es gibt kein Finalgesetz der Evolution, das da lautet, Überleben im Daseinskampf wird stets der Bestangpasste.

Es ist irrig und führt darüber hinaus zu falschen Schlüssen, wenn der Zusammenhang von System und Umwelt als striktes Einflussverhältnis mit einseitigem Entwicklungsdruck von Umwelt auf lebende Systeme modelliert wird. Bei dem Verhältnis von System und Umwelt handelt es sich vielmehr um eine lose Kopplung.

Diese Relation hält Gestaltungsoptionen in beide Richtungen bereit. Sie lässt wechselwirkende Einflüsse prinzipiell zu. Für den distanzierten Betrachter gestaltet sich das Verhältnis selbst als rekursiv mit Rücksicht auf eine prozessual veränderliche Machtbalance.

“Die Irregularität der Natur wird nicht länger als Anomalie behandelt, sondern zum Normalfall erklärt. Gesucht wird nach der Regularität in der Irregularität. Das Interesse richtet sich dabei auf Nichtgleichgewichtsprozesse; die Frage nach dem Gleichgewicht wird durch die nach der Prozessdynamik ersetzt.” Günter Küppers. Chaos: Unordnung im Reich der Gesetze. In: Ders. (Hg)(1996). Chaos und Ordnung. Formen der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft. Stuttgart: Reclam. S.173

Durch Modelle rekursiver Art kann man erklären, wie es möglich wird, dass eine bestimmte Verfasstheit oder Ordnung zwischen lebenden Systemen und ihrer jeweiligen Umwelt entsteht. Obwohl und gerade weil die Chance statistisch betrachtet sehr unwahrscheinlich ist, dass beide auf Dauer über die Zeit hinweg ko-existieren und ko-operieren. Auf die Gesellschaft bezogen – wie von Niklas Luhmann im Rahmen der autopoietischen Wende eingesetzt – rückt das Erklärungsprinnzip operative Kontingenzen ins Zentrum der Theorie.

“Evolution ist gleichsam eine Theorie des Wartens auf nutzbare Zufälle, und dies setzt zunächst einmal voraus, daß es bestands- und /oder reproduktionsfähige Systeme gibt, die sich selbst erhalten – und warten können. Zeit gehört mithin zu den wesentlichen Voraussetzungen von Evolution, und dies besagt unter anderem, daß die zeitlich engen Bindungen zwischen Umweltzuständen und Systemzuständen unterbrochen sein müssen.” [Luhmann 1997:417]

Was von dieser kritischen Durchsicht zunächst unberührt bleibt ist, dass Evolution des Lebens generisch abläuft. Generisch bedeutet artspezifisch stabilisierte Formen – Phänotypen der Art – sterben und bedürfen in irgendeiner Weise der Übertragung des Lebens auf folgende Generationen. Diese Notwendigkeit zur Fortpflanzung besteht unabhängig von der Tatsache, ob starke oder schwache Individuen überleben. Soll die Art nicht aussterben, muss sie den generativen Übergang vollziehen. Denn nur dann kann sie den im generativen Wechsel angelegten Bruch überdauern. Gleichzeitig erwächst auf der – meist paläontologisch und morphologisch – dokumentierten Basis der Abstammungslinien die Stammesgeschichte der – ausgestorbenen wie fortbestehenden – Arten.

Grundlagen anpassender Verwandlung

Drei Arten von Veränderungen sind für alle Theorien biologischer Evolution wichtig:

  1. Veränderungen des Genotyps durch Umverteilung der Gene oder Mutation
  2. Somatische Anpassungen des Phänotyps unter dem “Druck der Umwelt”
  3. Veränderungen der ökologischen Bedingungen

Adaptiver Wandel findet aufgrund genetischer, vegetativ-somatischer und ökologische Veränderungen statt. Unter einer wissensoziologischen Perspektive akzentuieren wissenschaftliche Erklärungsansätze (Theorien) die Themengebiete verschieden, indem sie ihnen Bedeutung zu- und absprechen.

Meine These lautet: Das Verhältnis von Spezies und Milieu stellt ein spezifisches Netzwerk von wechselseitigen Beeinflussungen dar. Dieses Netzwerk besteht aus einem dezentral organisierten Gefüge von sich bedingenden und beschränkenden Elementen. Ein kontinuierlich vollzogener Austausch im Rahmen ihrer wechselseitigen Abhängigkeiten entwickelt eine originäre Prozessdynamik des Lebenspiels.

Eine Vorhersage des Geschehens erweist sich aufgrund von Kontingenzen – eine Menge von Ereignissen, die weder zufällig noch zwingend auftreten – als Möglichkeiten mit größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeiten zur Verwirklichung anpassender Veränderungen. An beiden Rändern einer Masse von Geschehnissen mit indifferenten Verläufen finden sich vereinzelt stringente Notwendigkeiten, sogenannte Zwangsbedingungen und Zufälligkeiten zur Erklärung dieser Entwicklungsdynamik. Das Gros der auftretenden Prozessdynamiken hat kontingente Ursachen und eben solche Folgen. Gesetzesförmige Aussagen verbieten sich deshalb. Statistische Aussagen sind möglich, wobei ich vor trivialisierenden Verallgemeinerungen auf Basis von stochastischen Verhältnissen warnen möchte. Im Einzellfall sind Abweichungen erwartbar und deduktive Aussagen lediglich beschränkt gültig. Ich versuche meine Aussagen dahin ebenfalls kritisch zu reflektieren.

Eine Erweiterung scheint mit erforderlich unter Hinweis auf a) systematische Vernachlässigung alternativer Beschreibungskriterien z.B. der interaktiv Klugen, der unspezialisiert Spezialisierten, der instrumental Verrsatilen, … b) im Hinblick auf mindestens eine Art, die sich offensichtlich vom genetisch determinierten Körper-Anpassungs-Prinzip emanzipieren konnte.


  1. Oswald T. Avery, Colin M. MacLeod und Maclyn McCarty: Studies on the chemical nature of the substance inducing transformation of pneumococcal types. Induction of transformation by a desoxyribonucleic acid fraction isolated from pneumococcus type III. In: Journal of Experimental Medicine. Bd. 79, Nr. 2, 1944, S. 137–158, PMID 19871359.
  2. Zumindest gilt dies für die Gruppe der Individuen eines bestimmten Gebietes, die sich untereinander auch paaren. Die Aussonderung basiert auf dem eingangs strapazierten Wechselspiel von Individuen und Lebensraum. Das Verhalten der Individuen mag bedingt durch Instinkte, Reflexe und Gewohnheiten ebenso vorausgesagt werden können, wie die Veränderungen der Umgebung. Nehmen wir zum Beispiel an, dass ein klimatisch bedingter Temperaturanstieg das Nahrungsangebot für Meerestiere durch ein vermehrtes Algenaufkommen reduziert, so scheint eine eingeschränkte Ernährung plausibel. Dabei kommt es auf der somatischen Ebene zu einer zweiten, einer “inneren” Selektion. Das Wechselspiel wird fraglos durch die genetisch bestimmten Rahmen für Merkmalseigenschaften begrenzt. Gleichwohl tritt ein zweiter stochastischer Prozess in Kraft.