Lebensspiele I

MODUS DER ANPASSUNG

In der Biologie, der Wissenschaft vom Leben verhält es sich nicht anders als in anderen Wissenschaften. Der zentrale Gegenstand der Lebensforschung bleibt trotz aller Bestimmungsversuche erstaunlich unterbestimmt und schleierhaft. Ein Phänomen das sich mit Bezug auf Sir Raymond Popper möglicherweise mit der Vorläufigkeit unseres Wissens erklären lässt. Wir wissen viel mehr über Abstammung und Vererbung als noch vor 100 Jahren. Was irritieren mag: mit unserem Wissen scheint unser Unwissen zu wachsen.

Selbst-Organisierte Bedingtheiten

Im Unterschied zu Menschenaffen und anderen Säugetieren besitzen Menschen kein Fell (mehr). Die “Nacktheit” erfordert, dass der Körper die eigene Temperatur dynamisch anpasst, sobald die Temperaturen der Umgebung steigen oder fallen. Fragen wir genauer, wer oder was macht die Anpassung erforderlich?

Messen wir dazu die Körpertemperatur bei verschiedenen, gesunden Menschen. Unter sonst gleichen Rahmenbedingungen erhalten wir im Mittel Ergebnisse zwischen 36,5°-37,4° Celsius. Offensichtlich schwanken die Werte leicht. Und die Varianz tritt sowohl zwischen Individuen auf als auch bei einzelnen Individuen zu verschiedenen Zeitpunkten. Die registrierten Schwankungen gelten als normal. Bei Kleinstkinder liegt die normale Körpertemperatur allerdings bei 37,5° Celsius. Babies übertreffen den Oberwert der adulten Körpertemperatur um 0,1°.

Variiert die Temperatur in diesem Bereich “arbeitet” der menschliche Organismus vergleichsweise reibungsarm. Der Stoffwechsel tut was er soll, die Atmung erfolgt stetig und ruhig, das Herz schlägt rhythmisch und Menschen fühlen sich fit.

Natürlich benötigen und verbrauchen sie auch dazu Energie, aber eben weniger als bei zu hoher oder zu niedriger Temperatur. Steigen die Temperaturen dagegen, sagen wir über 38° Celsius, fühlen Menschen sich mehr oder weniger unwohl. Der Körper fiebert, das Herz schlägt härter und schneller, die Atmung wird kürzer. Auch in der Folge einer Unterkühlung kommt es zu eigenartigen Variationen. Zunächst verlangsamt der Herzschlag und schließlich dämmert der unterkühlte Mensch weg. Beide Zustände belasten den Organismus also offensichtlich mehr als die Normal-Temperatur.

Die Körpertemperatur und ihre Variabilität veranschaulicht zwei wichtige Dinge:

  • das eigentätige Moment eines vegetativen Regelungs- und Anpassungsvorgangs hier am Beispiel des menschlichen Organismus und
  • den regulativen Effekt im Verhältnis einer aus Teilen (Organen) zusammen gesetzten Einheit (Organismus) und Veränderungen ihres Lebensbereichs.

Zusammen mit der Regulierung der Temperatur können wir eine doppelte Abhängigkeit oder Bedingtheit beobachten. Fieber und Unterkühlung belegen die Abhängigkeit des Organismus von Veränderungen der Verhältnisse. Einmal treten Abweichung und Schwankungen auf in Bezug zu Zuständen und Lagen innerhalb des Organismus zum anderen im Verhältnis zu Entwicklungen von Umgebungsgrößen. Physiologisch betrachtet reguliert eine Region des Zwischenhirns – der Hypothalamus – die Körpertemperatur im Blick auf funktionale Abläufe des gesamten Organismus.

Neben der “normalen Betriebstemperatur” existieren nach oben wie unten kritische Grenzwerte. Sobald es dem menschlichen Organismus mit “Bordmitteln” – hier den vegetativen Ausgleichsmaßnahmen – nicht mehr gelingt, die Temperatur konstant unter 42° C zu dämpfen, zerfallen Eiweißbausteine und der betroffene Mensch stirbt. Tatsächlich hat die kritische und katastrophale Reaktionsweise seit alters Menschen bewegt, fiebrige Vorgänge zu behandeln. Im Blick auf die Zuspitzung in Form von krampfartigen Reaktionen und die finale Katastrophe kommen bis heute Wadenwickel, Medikamente und unterstützende Maßnahmen zum Einsatz

Den weiteren Fall selbstregulierter Korrektur stellt die Unterkühlung dar. Hält sich ein Mensch längeren Zeit im eiskalten Wasser auf, verlangsamt der Organismus den Herzrhythmus und die Atmung. Sinkt die Körpertemperatur unter 28° C bricht der gesamte Kreislauf zusammen. Es kommt zum Herzstillstand. Der betroffene Mensch stirbt ebenfalls.

Die Abhängigkeit der Lebensvorgänge von eigenwertigen Größen z.B. obere und untere Schwellwerten wird an beiden Grenzwerten deutlich. Die Körpertemperatur illustriert die Fähigkeit von Lebewesen, die Auswirkungen von Veränderungen – hier lebenswichtige Prozesse im Verhältnis zu verträglichen, kritischen bis riskanten Schwankungen – innerhalb bestimmter Grenzen eigemächtig zu dämpfen und zu verstärken. Wenn anders sind herkömmliche Prozesse irritiert und kommen aus dem Tritt. Kann der Körper die kritische Zuspitzung schließlich nicht auffangen, zerfällt die lebendige Organisation und degeneriert zu Umwelt.

Jetzt möchte ich von der autonomen Regulierung der Körpertemperatur durch vegetative “Mechanismen” abheben. Gibt es wie bereits vermutet ein prinzipielles Verfahren eigenständiger Regulierung lebendiger Systeme? Dazu betrachten wir die Interaktion von Lebewesen und Milieu etwas abstrakter. Im Anschluss an ein Modell des Lebens und vegetativ-organischer Vorgänge wagen wir den nächsten Schritt.

Sind wir (Beobachter) fähig, nicht nur für physisch-organische Prozesse zu belegen, dass Organismen vital wichtige Vorgänge gegenüber Einflüssen bewahren/schützen, indem sie bestimmte Ausgleich- und Korrekturmaßnahmen aufgrund von eigenwertigen Unterscheidungen “schalten”? In erster Linie denke ich dabei an autonom organisierte Vorgänge, Verhaltens- und Handlungsweisen.

Vom Umgang mit eigenen und fremden Wandlungen

Alles was lebt, bewegt, bemerkt und bewirkt bestimmte Wandlungen an, um und durch sich “selbst”. Oder etwas formaler ausgedrückt, ich kennzeichne lebendige Einheiten als robuste Entitäten, die phasen-, pfad- und referenzbedingt in einer topologisch begrenzten Umgebung als integrales Teil der Umwelt operieren, indem sie “bedeutsame” Zustandsübergänge an, um und durch sich selbst erfahren, verlässlich erfassen und wiederholt angemessen behandeln.

Mit dem Prädikat “bedeutsam” bezeichne ich unterschiedslos jede Wandlung der Bedingtheiten der Beziehung von Umgebung und Einheit – bewirkt, umgesetzt und vollzogen durch Veränderungen elementarer Aufbau- und Ablaufstrukturen von Teilen des Ganzen -, aufgrund von Zustandsübergängen der einen, der anderen und/oder beider Seiten des Interaktionsnetzes, insoweit die Auswirkung, der Vollzug und die Umsetzung mindestens einen Teil des Gefüges irritiert.

Ich fokussiere mein Erkenntnisinteresse in dieser Untersuchung auf die “Bewusstseinsprozesse” lebendiger Einheiten, z.B. Organismen. Nota bene: Es ist keinesfalls zwingend erforderlich, dass das definitorisch-regulatorische Element, das die Irritation eigenkreativ erfasst und rekursiv verarbeitet eine lebendige Einheit darstellt. Alternativ wäre auch ein technisches Artefakt mit geeigneter sensorisch-motorischer-registratorischer Ausstattung einsetzbar und wird eingesetzt. Beispiele sind der Fliehkraftregler einer dampfgetriebenen Maschine, Roboter in der Produktion von Maschinen- oder Werkzeugteilen, bei der Auomatisierung von Prüfvorgängen der Qualitätssicherung, Autopilot bei Flugzeugen und Autonomen Fahrzeugen mit neuronalen … .

Ich gehe wie folgt vor: um “relevante Veränderungen” praktisch untersuchen zu können, operationalisiere ich sie mit Hilfe des Konzepts “Irritationen”. Da wir zwar im Labor die neuronalen Prozesse messen und aufzeichnen könnten, nicht aber im Feld noch in der Wildnis, benötigen wir eine operative Bestimmung der “Aufmerksamkeits- und Bereitschaftspotenziale”.

Eine lebendige Einheit bewegt sich wirksam in ihrem Milieu, indem sie bemerkte Irritationen ausgleicht und erlebte Auswirkungen von Veränderung nützt, auflöst oder beseitigt, bewältigt sie den aktuellen oder potenziellen Impakt eigenständig mit eigenwertigen Verhaltensweisen, indem sie auf generische Weise handelt und erlebt.

Vom ersten bis zum letzten Moment ihrer Existenz durchqueren die Vertreter der verschiedenen Arten ein Meer von Wechselfällen. Dieses Gleichnis umschreibt die Bedeutung der Beziehung zu “faktischen Umwelten” und “praktischen Dingen”.

Bei “aktuellen und potenziellen Auswirkungen von Wechselfällen” sprechen wir im Blick auf die lebendige Einheit von Sachverhalten der Wahrnehmung, Bewegung und Veränderung. Abhängig von dem, was eine Entität wahrnimmt, in welche Richtung sie strebt, wie sie agiert, was sie meidet, … füllt die Einheit die Leerstelle “Umwelt” mit einer Reihe an Möglichkeiten, Erfordernissen, Chancen und Gefährdungen. Das Füllmaterial stammt aus konkreten Erfahrungen der vorgänglichen Interaktion: Erlebnisse, Aktivitäten und der Impakt von Wechselwirkungen der Einheit im Fokus in verschieden Phasen.

Mit Blick auf den Lebensprozess verwirklichen die Individuen einer Bevölkerung der Art eine Reihe von notwendigen und möglichen Bewegungen, indem sie fortgesetzt eine Art adaptiven Wandel vollziehen. Adaptiver Wandel kann in vielen Formen und Variationen auftreten, Anpassung, Assimilation, Akkomodation, Technik, Evolution, Spezialisierung, …

So wichtig die Frage nach der Ursache erscheint, es ist weder einfach noch klar und deutlich zu entscheiden, von welchem Ort die Veränderung ursprünglich ihren Anfang genommen hat. Fakt ist, sowohl die Zustände der Umwelt als auch die Zustände der Individuen unterliegen einem gewissen Wandel. Es gibt Veränderungen und sie bewirken Übergänge, die sich abhängig von den indiividuellen Bedingtheiten verschieden darstellen. Jede Form adaptiven Wandels referenziert und korrespondiert mit mindestens einem Unterschied an Zuständen einer Sache über Raum, Zeit und Zusammensetzung.

Was wir jedoch bei allen Lebewesen beobachten können, ist eine bestimmte Art eigenwertiger Veränderlichkeit, Beweglichkeit und Wirklichkeit.

Jedes Lebewesen bildet eine Einheit, die für sich genommen aus einem Verbund miteinander wechselwirksamer Teile besteht. Mit Blick auf die Umgebung bildet die Einheit selbst einen Teil einer umfassenden Einheit, z.B. eines Netzwerkes von Sachen und Lebewesen in einem bestimmten Gebiet. Jede Entität operiert als Teil einer Einheit mehr oder weniger wirksam in ihrem Milieu – jener Aspekt der Umwelt, den die Entität selbst faktisch als relevant markiert und operativ selektioniert -, indem sie mit spezifischen Elementen interagiert und andere ignoriert.

Die Beweglichkeit oder Dynamik gelingt auf eigenwertige Weise wiederholt aufgrund einer Menge oberer und unterer Schwellwerte. Dank solcher Intervalle registrieren sie den um- wie eigenweltlichen Einfluss als mehr oder minder starke Ablenkung von vorgänglichen Lagen (Zustände) und regulären Abläufe (Phasen). Jede spezifische Einheit legt die “Ereignisse” in Gestalt von subtil geweckten “Aufmerksamkeits- und Bereitschaftspotenzialen” aus. Mit dem Einlösen schwellwertiger Grenzen agiert bzw. reagiert sie in Korrespondenz mit Veränderungen.

Das besondere Moment von Veränderungen und Auswirkungen liegt im Vergleich und Kontrast zu den rein reaktiven Bewegungen von nicht-lebendigen Körpern/Systemen nun darin begründet, dass lebendige Entiäten eigenwertige Binnenzustände realisieren. Binnenzustände basieren auf gruppenspezifischer Ausstattungen und individueller Erfahrungen. Mit anderen Worten, Binnenzustände markieren die historisch gewachsenen “Aufmerksamkeits- und Bereitschaftspotenziale” einer Entität, deren individuell variabler Anteil mehr oder weniger dispositiv ausfällt, abhängig davon inwieweit die strikte Kopplung von Bewegung und Wahrnehmung bei der Spezies insgesamt gelockert auftritt.

Lebendige Einheiten – vom Organismus bis zu Organellen – operieren im Wechsel mit Umgebungsgrößen und ihren Schwankungen wirksam. Vor der Folie antezipierter aktueller und potenzieller Auswirkungen können wir Betrachter von Chancen oder Gelegenheiten und Bedrohungen und Risiken sprechen. Im Grenzfall beobachten wir das Verhältnis von Ereignis und Übergang von Zuständen aufgrund der Reaktionsweisen als Zuspitzung und “Nagelprobe”.

Aufgrund von verkörperten Erfahrungen – originär vorformatierte Ausstattungen plus intermediär ermittelter Anlagendispositive – erbringen Lebewesen viable Leistungen und operieren im jeweiligen Lebensbereich wiederholt – was leicht zu beobachten ist – rückbezüglich. Ihre Operationsweise orientieren Individuen eines Gebietes an eigenen und anderen Veränderungen.

Was heißt das. Beachten wir zunächst den Umstand, dass alle Lebewesen mit verschiedenen “Aufmerksamkeits- und Bereitschaftspotenzialen” ausgestattet sind. Die Konstitution solcher neuronaler Korrelate von Bewusstsein hängt ab von der physischen Organisation des Lebens, den Aufbau- und Ablaufstrukturen der untersuchten Lebensform.

Ich unterstelle also zunächst jeder Lebensform, dass sie Zustände von Übergängen unterscheiden kann, wie auch immer bescheiden oder umfänglich die Fähigkeit bei den Vertretern einer Art entwickelt und ausgeformt sein mag. Die Fähigkeiten untescheiden sich defnitiv bei Mehr- und Vielzellern, bei pflanzlichen von tierischen, bei Pilzen und Menschen in der Anlage, im Umfang und in der Reichweite, um nur diese drei zu erwähnen.

Aufgrund konstitutioneller Verschiedenheiten fokussieren die lebendigen Vertreter einer Art dank ihrer sensorisch-, motorisch-, algedonischen Organisation fortgesetzt Unterschiede, jedoch verschieden. Alle “bemerken” und “bewegen” jedoch nicht beliebige Veränderungen sondern potenziell und aktuell relevante. Was nun grundsätzlich an einem Ereignis oder Geschehen – sei es an der physischen oder/und der umweltlichen Struktur – eine relevante Veränderung darstellt, erweist sich bei genauer Untersuchung als relationales Datum.

Ausschließlich Ereignisse, Geschehnisse, Vor- und Zwischenfälle, die in Beziehung der Einheit zur Umwelt und umgekehrt einen Unterschied “bewirken”, markiere ich als relational relevante, also faktisch durch die Einheit beachtete und durch sie im weiteren Verlauf einbezogene Bezugsgrößen. Damit haben wir zugleich erläutert, wie die Einheit im Fokus aus Unterschieden über den neuronalen Prozess Unterscheidungen erzeugt und an relevante Veränderungen weitere Erlebnisse und Aktivitäten anschließt.

Auf diese Weise fokussieren verschiedene Lebensformen entlang von eigenwertig bestimmten Kriterien der Wichtigkeit, Güte und Angemessenheit, je artspezifisch verschieden eingeprägte und praktisch besonders eingelebte Aufmerksamkeits- und Bereitschaftspotenziele – was schwer zu beobachten, doch neurologisch belegbar ist – solange sie leben immer wieder bis auf Weiteres.

Mit anderen Worten: Lebewesen sind lebensfähig und vollziehen die Prozesse des Lebens eigenständig. Sie belegen und zeigen diese Fähgkeit immer wieder erneut durch Vollzug, -d.i. indem sie (über-)leben – bis auf Weiteres. Letzteres klingt empirisch, erfasst aber eine idealisierter Form das zuvor Gesagte. Das Postulat formuliert das Gelingen und Scheitern eines offenen Vollzusprozesses mit einem – aus unser Beobachtersicht – zugleich dialektischen und kybernetischen Impakt auf den Lebensprozess.

Einen “relevanten” Übergang markiert die Einheit im Fokus aktuell und potenziell stets in Form von Aufmerksamkeit und Bereitschaft. “Aufmerksamkeit” markiert perzeptive Vorgänge der Einheit, die auf der Wahrnehmung voraus und zugrunde liegenden Muster der “Aussonderung/Auszeichnung”, “Kenntnisnahme” und “Erinnerung” ablaufen. Analog umfasst “Bereitschaft” operative Vorgänge der Einheit, die auf der Bewegung voraus und zugrunde liegenden Mustern der “Umsetzung”, “Lenkung” und “Wiederholung” gründen. Mit anderen Worten wir (Beobachter) erfassen die Relevanz einer Veränderung im Blick auf den epigenetisch etablierten Binnenzustand einmal inhaltlich struktiv als Bedingtheiten der Wahrnehmung und einmal vorgänglich formativ als Bedingtheiten der Bewegung.

Noch ein Wort zum Thema Objektivierung im Sinne der Nachweis- und Messbarkeit. Mit “Binnenzustand” sehe ich neuronale Korrelate des Bewusstseins angezeigt, insbesondere “Aufmerksamkeits- und Bereitschaftspotenziale”. Die Einheit ermittelt und vermittelt jeden Übergang aufgrund eines erzeugten und variierten korrelativer Eigenwerte, die einer operativen Praxis der Beziehung von Umgebung und Einheit durch K

Dass die Irritation auftritt, signalisiert perse bereits die Gewichtigkeit oder Relevanz einer Veränderung des interdependenten Zusammenhangs für die betroffene Einheit und zugleich für unbeteiligte Beobachter. Machen wir uns deutlich, dass lediglich ein geringer Prozentsatz aller Dinge, Ereignisse, Vorkommnisse, Zwischenfälle und Umwelt überhaupt die Aufmerksamkeit lebendiiger Einheiten gewinnt. Die damit erfasste, faktische Aussonderung oder Selektivität korreliert hoch mit einer artspezifischen Affinität von Einheiten in Bezug zu ihrem Umfeld. In diesem Zusammenhang spreche ich von faktischer Umwelt. Differenztheoretisch gesprochen, die Einheit selektioniert für sie potenziell und aktuell relevante Aspekte aus dem umfassenden Potenzialraum “Umwelt”. Diese proaktional und attentional ausgesonderten Sachverhalte – kaum jedoch den gesamten Umraum – integriert sie. Abstrakt gefasst geschieht die Integration in das Beziehungsdifferenzial Einheit/Umwelt d(E|U).

Und gleichzeitig gelten diese Rahmen- bzw. Randbedingungen. Weder darf die Irritation zu mächtig ausfallen, – d.h. die erfolgte Veränderung wäre derart heftig und einflussreich, dass entweder die Einheit oder ihre Umgebung oder beide enden würden -, noch darf die Irritation zu schwach ausgeprägt eintreten, so dass Einheit den Übergang überhaupt nicht bemerken würde. Dazwischen finden Zustandsübergänge von mehr oder weniger starker Irritationsstärke statt. Die damit korrelierte Imbalance – zumindest wie sie auf Seiten der Einheit bemerkt wird – veranlasst die Einheit die erzeugte Irritation zu nivellieren, indem sie z.B. die Quelle der Irritation beseitigt oder die Auswirkungen auf das eigene Systems aus Teilen auflöst.

Ähnliche Betrachtungen im Blick auf das basale Prinzip der Evolution hat Alfred Russel Wallace 1856 in einem Brief an Charles Darwin bereits angestellt.

“Die Wirkweise dieses Prinzips entspricht genau der des Fliehkraftreglers bei der Dampfmaschine, der alle Unregelmäßigkeiten fast schon unterbindet und berichtigt, bevor sie sichtbar werden, und in ähnlicher Weise kann im Reich der Tiere kein unausgeglichener Mangel jemals irgendeine auffällige Größe erreichen, weil er sich schon auf der allerersten Stufe bemerkbar machen würde, indem er die Existenz erschweren und fast mit Sicherheit das Aussterben bedeuten würde.”

Grundlagen anpassender Verwandlung

Drei Arten von Veränderungen sind für alle Theorien biologischer Evolution wichtig:

  1. Veränderungen des Genotyps durch Umverteilung der Gene oder Mutation
  2. Somatische Anpassungen des Phänotyps unter dem “Druck der Umwelt”
  3. Veränderungen der ökologischen Bedingungen

Adaptiver Wandel findet aufgrund genetischer, vegetativ-somatischer und ökologischer Veränderungen statt. Unter einer wissensoziologischen Perspektive akzentuieren wissenschaftliche Erklärungsansätze (Theorien) die Themengebiete verschieden, indem sie ihnen Bedeutung zu- und absprechen.

Meine These lautet: Das Verhältnis von Spezies und Milieu – modulo von Population und Lebensraum sowie von Individuen und Umgebung – stellt ein spezifisches Netzwerk von wechselseitigen Beeinflussungen dar. Dieses Netzwerk regulieren die beteiligten Elemente – Knotenpunkte von mehr oder weniger umfangreichen Beziehungsgefügen – nicht in direkter Linie, sondern in dezentral organisierter Gestalt durch die Art und Weise wie sie ko-existieren, ko-operieren und ko-variieren. Wir könnten auch postulieren lebendige Systeme – von der einfachsten Form bis zur komplexen Biosphäre als Letztsystem – organisieren sich eigenständig und vernetzt.

Indem jede Art, jede Gruppe und jedes Individuum gemäß ihrer struktiven Organisation lebt, je eigene Perzeptionen, Aktionen und Wandlungen vollzieht, beeinflussen und bedingen sich die Lebensweisen wechselseitig. Ein kontinuierlich vollzogener Austausch im Rahmen ihrer wechselseitigen Abhängigkeiten entwickelt die originäre Prozessdynamik des Lebenspiels ohne dass wir (Beobachter) in der Lage wären, ein spezifisches Zentrum anzugeben.

Eine Vorhersage des Geschehens erweist sich diesem Theorem zufolge aufgrund von Kontingenzen – eine Menge von Ereignissen, die erforderlich und zugleich möglich sind, jedoch weder zufällig noch zwingend auftreten – als schwierig, da der verwirklichte Verlauf von einer Vielzahl von veränderlichen Größen abhängt. Wir sprechen von Eventualitäten, Zwischenfällen und Möglichkeiten mit größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeiten zur Verwirklichung anpassender Veränderungen.

An beiden Rändern einer Masse von Geschehnissen mit indifferenten Verläufen treten Ereignisse mit Gewissheit und Ungewissheit auf. Gewissheit besteht, wenn ein Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen unter sonst gleichen Bedingungen immer wieder so abläuft wie einmal gezeigt. Immer wenn A folgt B. “Immer”, “Alle” stringente Notwendigkeiten, sogenannte Zwangsbedingungen und Zufälligkeiten, Ausdruck eines uneingeschränkten Freilaufs. Die erste Gruppe an Ereignissen und Verläufen tritt mit universeller Gültigkeit ein. Beides trägt zur Erklärung dieser Entwicklungsdynamik bei, doch eben nur zu einem Bruchteil.

Das Gros der auftretenden Prozessdynamiken hat kontingente Ursachen und eben solche Folgen. Gesetzesförmige Aussagen – sie referenzieren ausschließlich notwendige und idealisierte Verläufe – verbieten sich deshalb für die betreffenden Prozesse. Die Analyse von Einzelfällen ist zweifelsfrei erhellend, erlaubt letztlich – aufgrund eingeschränkter Übertragbarkeit – kaum allgemein gültige Rückschlüsse.

Im Blick auf lebendige Prozesse können wir mit statistischen Mitteln, Aussagen über die notwendigen und möglichen Trends der Verwirklichung formulieren. Ebenso vermögen wir die dazu erforderlichen Rahmen- und Randbedingungen zu präsizieren. Wobei ich vor trivialen Verallgemeinerungen auf Basis von stochastischen Verhältnissen warnen möchte. Die Anzahl der Störche korreliert mit der Zahl der Kinder in einem Gebiet, was dennoch kein Beleg für das Ammenmärchen darstellt.

Im Einzelfall sind darüber Abweichungen erwartbar. Deshalb sind prognostische Aussagen lediglich beschränkt gültig. Einzig der lebendige Vollzug und die konkreten Auswirkungen der Interaktion können zeigen, wie Arten, Populationen und Individuen einander begünstigen als auch beschränken, ihre Besonderheiten verstärken als auch dämpfen.

“Die Irregularität der Natur wird nicht länger als Anomalie behandelt, sondern zum Normalfall erklärt. Gesucht wird nach der Regularität in der Irregularität. Das Interesse richtet sich dabei auf Nichtgleichgewichtsprozesse; die Frage nach dem Gleichgewicht wird durch die nach der Prozessdynamik ersetzt.” Günter Küppers. Chaos: Unordnung im Reich der Gesetze. In: Ders. (Hg)(1996). Chaos und Ordnung. Formen der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft. Stuttgart: Reclam. S.173

Es ist irrig und führt darüber hinaus zu falschen Rückschlüssen, wenn der Zusammenhang von System und Umwelt als striktes Einflussverhältnis mit einseitigem Entwicklungsdruck von Umwelt auf lebende Systeme modelliert wird. Bei dem Verhältnis von System und Umwelt handelt es sich vielmehr um eine lose Kopplung mit mindestens zwei, in der Regel aber mehrerer interdependenter Einflussgrößen, die im Vollzug erforderlicher und möglicher Umsetzung auf das Geschehen wirken. Sobald dabei nicht allein Materieteilchen oder einfache Eingabe-Ausgabe-Mechanismen miteinander wechselwirken, können nicht-lineare und überraschende Entwicklungen auftreten.

Diese Relation hält Gestaltungsoptionen in beide Richtungen bereit. Sie lässt wechselwirkende Einflüsse prinzipiell zu. Für den distanzierten Betrachter gestaltet sich das Verhältnis selbst als rekursiv mit Rücksicht auf eine prozessual veränderliche Einflussbalance. Durch Modelle rekursiver Art kann man erklären, wie es möglich wird, dass eine bestimmte Verfasstheit oder Ordnung zwischen lebenden Systemen und ihrer jeweiligen Umwelt entsteht, an welchen Knoten sie sich wandelt oder aufteilt usw..

Obwohl und gerade weil die Chance statistisch betrachtet sehr unwahrscheinlich ist, dass beide – System und Umwelt – auf Dauer über die Zeit hinweg ko-existieren und ko-operieren, erweist sich dieser Sachverhalt einer Erklärung würdig. Auf die Gesellschaft bezogen – wie von Niklas Luhmann im Rahmen der autopoietischen Wende eingesetzt – rückt das Erklärungsprinzip operative Kontingenzen ins Zentrum der Theorie.

“Evolution ist gleichsam eine Theorie des Wartens auf nutzbare Zufälle, und dies setzt zunächst einmal voraus, daß es bestands- und /oder reproduktionsfähige Systeme gibt, die sich selbst erhalten – und warten können. Zeit gehört mithin zu den wesentlichen Voraussetzungen von Evolution, und dies besagt unter anderem, daß die zeitlich engen Bindungen zwischen Umweltzuständen und Systemzuständen unterbrochen sein müssen.” [Luhmann 1997:417]

Was von dieser kritischen Durchsicht zunächst unberührt bleibt ist, dass Evolution des Lebens generisch abläuft. Generisch bedeutet artspezifisch stabilisierte Formen – Phänotypen der Art – sterben und bedürfen in irgendeiner Weise der Übertragung des Lebens auf folgende Generationen. Diese Notwendigkeit zur Fortpflanzung besteht unabhängig von der Tatsache, ob starke oder schwache Individuen überleben. Soll die Art nicht aussterben, müssen Individuen den generativen Übergang vollziehen, wobei diese selbst sterben.

Oder auf die weltweite Kommunikation in Luhmanns Konzeption der Gesellschaften bezogen: ohne nachströmende psychische Systeme / Bewusstseine wird die Kommunikation enden.

So ist es schlüssig, dass die moderne Evolutionstheorie auf den Fortbestand selbst referenziert und die Population1 als übergeordnete Einheit der individuellen Teiler identifiziert, durch die die Arten, den “Tod” überstehen. Gleichzeitig erwächst auf der – meist paläontologisch und morphologisch – äußerst lückenhaft und fragmentarisch dokumentierten Basis der Abstammungslinien, die Stammesgeschichte der – ausgestorbenen wie fortbestehenden – Arten.

Leben – eine Bewegung eigener Art

Unter einem pragmatischen Blickwinkel ist Leben etwas, was lebendige Körper – im Unterschied zu nicht-belebter Materie – bewirken und bemerken, uns (Lebewesen) allen eignet und was sich – operativ betrachtet – solange von selbst bewegt, orientiert, reguliert, einstellt, erneuert, behauptet und einbindet bis der selbständige Prozess endet oder in eine andere Gestalt übergeht (z.B. Knospung, Verpuppung, Fortpflanzung, Tod).

Weil alles, was lebt von gewissen Voraussetzungen abhängt, informieren wir (Lebewesen) die Umwelt mit den strukturell-einverleibten Bedingungen der Möglichkeit des Überlebens unserer Spezies, individuell verkörpert (inkorporiert) und vermittelt (codiert) durch unsere Bauweisen (Konstitution), unsere Anlagen (Disposition) und Leistungsfähigkeiten (Kondition).

Indem Menschen, Tiere, Pflanzen und alles, was lebt sich selbst als Einzelwesen organisiert und als Bindungswesen reproduziert, bestimmen wir (Lebewesen) mittels strukturbedingter “Wirk- und Merkmale” z.B. Bedürfnisse und Eigenschaften, die Bedingungen eines topographisch um uns konzentrierten, mehrdimensional aufgefächerten Wirk- und Merkbereiches, in dem wir gemeinsam mit mehr oder weniger vielen verschiedenen Lebewesen ko-existieren.

Wir (Autoren und konsensual eingestellter Teil der Leserschaft) postulieren im Ergebnis die Ansicht, dass Lebewesen ihr ortsbezogenes Milieu aus der verfügbaren Umqebung selegieren und dadurch ihre ökologische Nische2 spezifizieren.

Ereignisse und Wandlungen in der Umgebung können dabei zweifellos Veränderungen auslösen. Die Umwelt kann aber weder Auswirkungen “bemerken” noch “bewirken”. Dies vermögen allein Lebewesen. In der “Verdinglichung” der Umwelt und der Metapher von der “natürlichen Zuchtauswahl” schwächelte bereits Darwins Erklärung der Entwicklung der Arten(vielfalt). Die Kombination oder Synthese der Evolutionsthese verschiebt das Problem, löst es jedoch weder noch beseitigt sie es.

Leben selbst erscheint im Blick auf Wendungen und Veränderungen als eine fortgesetzte, eigenmächtig von Lebewesen balancierte Bewegung. Beweglichkeit (Motoralität) bildet eine, Sinnlichkeit (Sensualität) eine andere notwendige Voraussetzung für die Vorgänglichkeit und Beeinflussung der Eigendynamik, gleich in welcher Gestalt und in welchem Medium lebende Systeme beide verwirklichen. Eine dritte, bestimmende d.i. bestimmte und bestimmbare Bedingung bildet die Gestalt und das Medium verwirklichter Körperlichkeit:

  • allgemein der organisch verwirklichte Körper selbst als struktives Medium und aktive Form zur Bestimmung erforderlicher wie zulässiger Bedingungen der Möglichkeit eines Lebewesens oder einer Lebensart, unter gewissen Umständen in natürlichen Umgebungen wirksam zu operieren, i.e. sich eigenständig zu energetisieren, zu behaupten und zu integrieren
  • speziell der auf widernatürliche oder künstliche Weise ausgeschaltete organische Körper als erforderliche und zulässige Bedingung der Möglichkeit einer exzentrischen Stellung des Menschlichen in kulturellen und artifiziellen Milieus außer- ober- wie unterhalb natürlicher Umgebungen.

Durch beide Aspekte der faktischen Verkörperung gleichen lebendige Systeme kontinuierlich ab, was sie an Unterschieden zu vorgängigen Zuständen “bemerken”, indem sie sich “bewegen” (Änderungen der Stellung oder Lage) und was sie an Übergängen oder Fortsetzungen “bewirken” (Phasen einer Entwicklung oder eines Weges). Auf diese vergleichende oder unterscheidende Art, orientieren und regulieren Lebewesen, wie sie sich im Fluss der Ereignisse und Vorgänge “erleben”, und zwar “bewusst”.

Nota bene: Ich verwende mit Bedacht Verben und setze sie gleichzeitig in Anführungszeichen, weil ich zwei Dinge hervorheben möchte. Die Dreifalt bemerken, bewegen, bewirken bildet eine Einheit der Veränderung und zwar in einem sehr umfassenden Verständnis. Es geht mir weniger um Wahrnehmung als um Aufmerksamkeit. Fokussierte Aufmerksamkeit erzeugt erleben als gerichtete Abfolge von Unterschieden und daran geknüpfter Unterscheidungen. Aufmerksamkeit kann praktisch an jeder der drei Aktivitäten ein- oder ansetzen, weil diese eine kreiskausalen Zusammenhang bilden. Bedenkenswert ist, dass es sich nicht um ein logisches Konstrukt, als vielmehr um eine praktische Verwandlung von Zuständen in sachlicher, zeitlicher und relationialer Dimension handelt. Wir sprechen also von Übergängen als Voraussetzung für einen Erlebnisstrom.

Vorgänglichkeit finden wir auf verschiedenen Ebenen der Entwicklung des Lebens. Bekannt mag das Prinzip von der Embryogenese sein. Dort übernimmt die Epigenese die Form eines fortgesetzten, vegetativ-somatischen Wachstums auf der Basis vorgängiger Stadien der Entwicklung.

Lebewesen beziehen sich aber auch im Verhalten zum Abgleich von Lagen und Phasen rekursiv auf zuvor gemachte und “retendierter” Erfahrungen in Form von zuständlichen Stasen. Die übergänglichen Pfade der Reifung und Entwicklung führen zu weiteren Stadien. Die Zustände, die sie mit Anlässen für die aktuelle Bewegung und ihrem Verlauf ko-ordinieren, variieren sie im Rahmen ihrer Fähigkeiten, Kapazitäten und Potenziale. Immer aber verstärken und dämpfen sie “Anstrengungen” zur Beseitigung oder Auflösung eines überkommenen Zustandes und zur Bewahrung eines erprobten, ebenso wie sie unter Restriktionen neue Pfade erkunden.

Jede Lebensform verkörpert anorganische, organische, animalische und metaphysische Vorgänge. Die Vorgänge sind in jeder Lebensform “holonisch” organisiert. In Gestalt und im Medium ihrer Leibkörperlichkeit bewahren Tiere und Menschen ihr Leben und führen es selbst unter widrigen Umständen oder Bedrohungen fort, indem sie über sinnlich-bewegliche Vorgänge eigenständig mit Un-Bestimmtheiten in ihrem Existenzbereich umgehen. Immer wieder und bis auf weiteres gelingt ihnen eine wirksame Bestimmung ihres Milieus, während sie sich unter veränderlichen Anforderungen bewegen, behaupten und integrieren. Ebenso teilen wir (Lebewesen) die Tendenz uns – im Zusammenhang mit Risiken und Chancen von Veränderungen – lebendig und am Leben zu erhalten.

Unter einem reproduktiven Blickwinkel sind Lebewesen bezogen auf ihr eigenes Fortbestehen und die dabei erforderlichen Vorgänge geschlossen. Nicht allein der menschliche Körper ist durch die Haut von seiner Umgebung abgegrenzt. Unterbricht ein Ereignis oder ein Geschehen lebenswichtige Vorgänge z.B. den Zellstoffwechsel, stirbt der Organismus. Es gibt keine Einheit mehr, die sich – ihre Beweggründe, ihre Aufbauordnung und ihre Ablaufvorgänge – selbstbestimmt behauptet und zugleich in die Ordnung der Dinge des Umraums interaktiv einbindet. Die Fähigkeit zur Selbsterhaltung und Abschließung aber – ihr am Leben oder lebendig sein – bildet die Bedingung der Möglichkeit zum Austausch mit der Umgebung und zum Ausgleich von auftauchenden Veränderungen dort wie hier.

Jenseits von bestimmten, inkorporierten “Wertbereichen” bemerken Lebewesen Veränderungen (noch) nicht oder nicht mehr. So sehen wir (Menschen) etwa andere Farbspektren als Insekten und hören andere Bandbreiten an Tönen oder Geräuschen. Diesseits der faktisch gegebenen Wertbereiche setzen vegetative, animalische und humane Vorgänge an. Diese meist kreisläufig organisierten Prozesse halten das Leben in Gang oder beenden es.

Versuch einer begrifflichen Ordnung

Tragen wir das bisher Erkannte zusammen. Unser Thema ist die Dynamik interaktiver Vorgänge zwischen Entitäten sowie deren inkorporierter Umgang mit bewirkten, bemerkten und bewegten Lagen und Phasen. Ich nehme an, dass sowohl künstliche als auch natürliche Entitäten so beschaffen sind, dass sie die für ihre Existenz erforderlichen Prozesse eigenständig erhalten und fortsetzen.

Im Fall von lebendigen Systemen sind dies organische Vorgänge des aus stofflichen und vegetativen Strukturen aufgebauten Körpers z.B. Stoffwechsel, Herz-Kreislauf-System, Atmung, Wachstums- und Reifungsvorgänge, sowie somatisch-animalisches Verhalten, z.B. Fortpflanzung, Angriff, Flucht, Tot-Stellen … und darüber hinaus spezifisch sozio-kulturelle Vorgänge, z.B. Sprachgebrauch, Körperausschaltung, Insulation, …

Wir haben den Verlauf einer vorgänglichen Bewegung als Vorgang eines umfassenderen Wechselpiels identifiziert, dessen Dynamik im Blick auf Auswirkungen und Umgang prinzipiell ungewiss verläuft. Ein Grund für den ungewissen Verlauf der Interaktion, z.B. zwischen Individuen und Milieu, bilden die betroffenen und beteiligten Einheiten. Wir können vor diesem Hintergrund statt von Ungewissheit auch präziser vom Prinzip der Bestimmung der Unbestimmtheit von Lagen und Phasen durch – vital oder artifiziell – autonome Einheiten sprechen. Modallogisch haben wir den Potenzialraum mittels notwendiger, möglicher und kontingenter Bestimmungsmodalitäten näher eingegrenzt.

Dieser Grundsatz der Bestimmung von Unbestimmtheit orientiert unser Verstehen und trägt zugleich praktisch, weil jeder Vorgang oder Zwischenfall aus Übergängen in der körperlichen, sachlichen, örtlichen, zeitlichen und interaktiven Folge erwächst, d.i. entsteht und fortwirkt oder endet. Da der Verlauf selbst aufgrund der mehrseitigen Rahmung durch die beitragenden und beteiligten Parteien über-bestimmt ist, vermuten wir, dass ursächliche und zweckendliche Bestimmungen zwar auf der Hand liegen, aber weder universell vorgegeben noch im voraus bestimmbar sind. In einem Prozess bleibt grundsätzlich offen, was hinzu oder dazwischen kommen und am Ende tatsächlich geschehen wird. Das konkrete Geschehen generiert aus dem Verlauf der Interaktion der beteiligten Einheiten die Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Kontingenzen. Die faktisch evolvierte Wirklichkeit im Ertrag des Prozesses hängt von mehreren Bedingtheiten ab.

Das unbestimmte, für die beitragenden Parteien jedoch bestimmbare Moment jeder Lage und jeder beliebigen Phase resultiert grundsätzlich aus wirksamen Bedingtheiten. Die davon über Begegnung und Austausch konkret betroffenen Einheiten entfalten die Auswirkungen in körperlicher, sachlicher, örtlicher, zeitlicher, interaktiver Hinsicht verschieden. Mit anderen Worten wir (Beobachter) beobachten verschiedene Restriktionen, z.B. Konstitution, Disposition, Kondition, Privilegien, Gefahren, Chancen, Gelegenheiten, Nachteile, Vorteile, … Die Restriktionen erleben die involvierten Parteien fokus-, standort- und pfadabhhängig verschieden.

Die Fähigkeit von Lebewesen codierte Versionen der Geschehnisse zu erstellen – bildet die Voraussetzung für einen mehr oder weniger variantenreichen Umgang mit Lagen und Phasen einer Entwicklung oder Interaktion. Schon mit Blick auf die sinnlich-bewegliche Ausstattung, angelegt-erworbene Fähigkeiten und variabel-verfügbare Kontingente der beteiligten Einheiten sowei ihre historisch gewachsene Situiertheit existieren bereits unterschiedliche Wirklichkeiten und Latenzen.

Insoweit Fokus der Aufmerksamkeit, Lage des Standorts und Pfad der Entwicklung die Voraussetzungen liefern zum Erkennen der Ereignisse, Geschehnisse und Offerten, bedingen sich die aktuell bemerkten wie potenziellen erwarteten Verhaltensweisen wechselseitig, was grundsätzlich die Möglichkeiten – Chancen und Risiken – und Grenzen der Einflussnahmen jeder Partei rahmt. Das Primat der Rahmung des Möglichkeits- und Wirklichkeitsraumes der Einflussnahme durch die sinnlich-beweglich bedingten Auswirkungen jeder am Wechselspiel beteiligten und in den Verlauf einbezogenen Einheit ist eine Einsicht, die wir unter keinen Umständen bei der Frage nach der Dynamik des Geschehens übersehen dürfen.

Anders ausgedrückt, wir sprechen von mindestens zweiseitig gerahmten Übergängen. Die Übergänge können durchaus sowohl eigen-, mit- als auch umweltliche Wandlungen der Verhältnisse und Beziehungen umfassen. Mitweltliche Rahmungen modulo Übergänge kommen ausschließlich zwischen Lebewesen in Frage, die sich selbst und ihre Geschichte thematisch “im Griff” behalten und “Eindrücke” erinnern und “Episoden” wachrufen, z.B. Menschen. Ein Übergang kann also von mehreren Seiten beeinflusst, betrieben und im Blick auf durch die ausgelöste Veränderung der Verhältnisse unterschiedliche Folgen und Konsequenzen haben. Letztere wirken zurück auf die “Einflusstreiber” sowie die direkt und indirekt beteiligten Partien des Lebensbereiches oder Milieus.

Mit anderen Worten operativ bestimmt: ein Übergang kann potenziell und wird aktuell durch fremde wie eigene Bewegungen ausgelöst, indem eine Veränderung vorausliegender Beziehungszustände durch die betroffene Einheit (Pflanze, Tier, Mensch, Artefakt) “retendiert” wird. Dazu muss die “Differenz” zuvor “fokussiert” und darf eben nicht “ignoriert” worden sein, um überhaupt etwas an Reaktion oder Vorgang auslösen zu können.

Wie aber können die beitragenden Einheiten mit den potenziellen und aktuellen Veränderungen ihres Milieus – sich selbst eingeschlossen – wirksam umgehen. Indem sie ihre Wahrnehmungen und Bewegungen verlässlich voraus und gestalterisch angemessen an den Auswirkungen orientieren. Soweit diese aufgrund der Prozesshaftigkeit allerdings unbestimmt oder genauer überbestimmt sind, darüber hinaus der Umgang im Blick auf örtliche, sachliche, zeitliche und interaktive Bedingtheiten bis auf weitere Aktionen ungewiss bleibt, bietet sich eine pragmatische Vorgehensweise als Lösung der dilemmatischen Situation an:

on s`engage et puis on voit!


Fussnoten


  1. : “Evolution ist die zeitliche Veränderung in den Eigenschaften der Populationen von Lebewesen.” Die Population sei, so Ernst Mayr, also die Einheit der Evolution. 2005:25

  2. George Evelyn Hutchinson – britischer Pionier in Fragen der Ökologie – verdanken wir nicht nur die Einsicht in den Zusammenhang von Kohlendioxid und Erdtemperatur, sondern die Redefinition der ökologischen Nische als Funktion einer Vielfalt koexistierender Arten, die einen geologischen Ort bevölkern. Hatte Elton die “Nische” bereits als “Rolle” einer Species bestimmt, redefinierte Hutchinson sie als “highly abstract multi-dimensial hyperspace in which the organism’s need and properties were defined as dimensions.”