Einsichten und Ausblicke:

der menschliche Weg

Indem wir (Organismen) leben, uns bewegen, bemerken und bewirken wir, was mit uns und um uns geschieht. Die Aussage gilt für jedes bewegliche und sinnliche Lebewesen, Tiere wie Menschen. Lange hat man den Unterschied betont, zuletzt in besonderer Weise in den Menschen- oder Geisteswissenschaften.

Heute besteht die Tendenz, die Ähnlichkeit zu betonen. Maßgeblichen Einfluss in diese Richtung gebührt den physiologischen und verhaltenspsychologischen Forschungen im 19. und 20. Jahrhundert. Nach der Entschlüsselung des Genoms und anschlüssiger Untersuchungen der Genstrukturen bezeugen Forscherinnen und Forscher wetweit, dass sich der genetische Code von Menschen und Menschenaffen um einige wenige Prozentpunkte, aber auch der von Säugetieren überhaupt wenig unterscheidet. Vor dieser Folie scheint der letzte Zweifel beseitigt zu sein.

Aus dem Verhalten von Ratten und Mäusen im Laborparcour leiten Neurowissenschaftler ab, was wichtig für menschliches Lernen ist. Aufgrund ihrer Erkenntnisse über die Verhaltensweisen von Nagern treffen die Forscher Aussagen über das Lernverhalten unserer Kinder und sprechen vollmundige Empfehlungen aus. Dass dabei pädagogische Erfahrungen und Sichtweisen der angestammten Geisteswissenschaften, Erkenntnis- und Lerntheorien mehr oder weniger vollständig ignoriert werden, ist nicht unser Thema, kann jedoch in einer lesenswerten Abhandlung nachvollzogen werden.

Ist der Transfer, die Übertragung von tierischen Verhalten auf menschliches Handeln und Erleben auch gültig und zulässig? Bieten die aus dem tierischen Verhalten gewonnenen Erkenntnisse tatsächlich verlässliche Kenntnisse und Einsichten für Menschenjunge?

Kein Zweifel, geeichte Instrumente messen die Erregung gewisser Gehirnzentren bei Laborratten oder Rhesusaffen verlässlich. Und natürlich zeigt die Erregung der Probanden fraglos und unmissverständlich an, dass sie ihre Aufgabe gelöst haben. Schließlich erhalten sie ihr Fressen.

Oder die Versuchsleitung gibt eine gezielte Stimulierung der untersuchten Hirnzentren, z.B. durch optogenetische Impulse – Einschleusen von lichtempfindlichen Proteine in Neuronen zur “Fernsteuerung” – und zeigt nachdrücklich, welche neuronalen Effekte bei der Gewohnheitsbildung beteiligt sind1.

Aber erlauben besagte Beobachtungen zu Fragen der “Implementierung” auch verlässliche Rückschlüsse bei einem Lebewesen, das sowohl aus persönlichen als auch sozialen und biologischen Beweggründen handelt und erlebt?

Die Wirkung ist nicht die Ursache

Beginnen möchte ich die Erörterung der Fragestellung mit einem Rückblick auf eine bis heute bahnbrechende Untersuchung eines russischen Physiologen des vorletzten Jahrhunderts.

I. P. Pavlov hat einst erfolgreich demonstriert, wie er und sein Team Hunde unter Laborbedingungen versuchsweise mit Futtergaben und Sinnesreizen so beeinflussen konnte, dass sie “neurotisch” auf Signale – das Erklingen eines Glöckchens – reagierten. Pragmatisch gesprochen, nachdem die Forscher die Tiere eine zeitlang zugleich fütterten (bedingte Reizung) und beschallten (unbedingte Reizung), dann lediglich allein die Glocke bimmelte, salvierten die Hunde. Dabei gab es gar nichts zu fressen.

Physiologisch ist der Speichelfluss reflexartig an das Auftauchen potenzieller Nahrung gekoppelt. Wir dürfen auch sagen, das Phänomen “Speichelproduktion” sei ein “bedingter Reflex”. Bedingt deshalb, weil der Speichel immer wieder fließt, sobald ein Säugetier Nahrung riecht, sieht, spürt, … “Reflex” bedeutet – ohne hier eine erschöpfende Bestimmung geben zu wollen – dass der beobachtbare Speichelfluss als Antwort auf die Futtergabe, eine unwillkürliche Verhaltensweise darstellt. Die physische Reaktion erfolgt also absichtslos und gekoppelt an Nahrung. Bei diesen Probanden floss der Speichel jedoch, ohne dass direkt Nahrung im Spiel war. Deshalb kann man ihr Verhalten ohne Zweifel als “krankhaft” d.i. “neurotisch” bezeichnen.

Würde ich jetzt strapazieren, das das Ertönen des Lautmusters der Lieblingsspeisen bei meinen Leser und Leserinnen eine krankhafte Reaktion auslösen würde, nur weil diesen das Wasser im Mund zusammen läuft – also Speichelfluss erzeugte – würde ich mich wahrscheinlich lächerlich machen. Lachen Sie gerne und ausgiebig. Vielleicht denken Sie während dessen einmal an ihr Leibgericht und beobachten, was geschieht!. Läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen? Sind Sie “neurotisch”? Lachen ist übrigens wie weinen ein weiteres spezifisch menschliches Verhalten.

Die Pavlovsche Studie soll mir hier als ein klassisches Exemple für einen initialen und anhaltenden Wissenstransfer dienen, wie ich ihn eingangs bereits skizziert habe. Erkenntnisse auf Basis von Experimenten – wobei zumindest Pavlov stets darauf hingewiesen haben soll, dass seine Untersuchungen rein reflektorisch unter Ausschluss bewusster Prozesse erfolgten – begegnen uns heute tausendfach in praktischer Anwendung.

Und bevor Sie jetzt einwenden, aber Pavlov ist doch lange tot und wer gibt heute noch was auf physiologische Studien aus dem 19. Jahrhundert? Ich darf Ihnen versichern, wenn Menschen sich therapieren lassen, stellt das Wissen um bedingte Verhaltensweisen einen integralen Bestandteil der Praktiken und fließt in die Techniken moderner Verhaltenstherapie mit ein.

Wir “alle” “profitieren” von Pavlovs Erkenntnissen und Einsichten zu bedingten Reflexen und Konditionierung von Verhalten. Diesen Sachverhalt verdanken wir dem Physiologen mit seinen Probanden und zahllosen darauf folgenden Untersuchungen mit Tauben, Ratten, Affen, … einer “ätiologischen” Tier-Verhaltens-Psychologie z.B. Skinner, aber auch Konrad Lorenz und Niklas Tinbergen seien nicht vergessen. Skinners Arbeiten flossen u.a. in die soziologische Theoriebildung. Talcott Parsons orientierte sich bei der Entwicklung seiner Variante der Handlungs- und Systemtheorie an dessen experimentalen Daten im Blick auf Anpassung.

Was Pavlov ebenfalls gelang zu zeigen, war die Umkehrung des Neurotisierungsprozesses. Anschließend “dekonditionierte” Pavlov seine Laborhunde wieder. Anders ausgedrückt, der “Experimental-Psychologe” “kurierte” sie von den krankhaften Symptomen, die sie unter seiner Behandlung zuerst zeigten. Das Ganze geschah, um seine Thesen zu bedingten Reflexen zu belegen.

Pavlov hat etwas gezeigt, wie die heutigen ForscherInnen die Plausibilität ihrer Annahmen zeigen. Doch weder Pavlov noch Skinner, noch auch moderne Neurologen haben jemals ihre Behauptungen bewiesen. Das ist kein Novum. Selbst Mathematiker scheitern bei der Beweisführung hinreichend komplexer oder nicht-trivialer Systeme, was Kurt Gödel sogar „beweisen“ konnte.

Kritisch gelesen, könnten wir uns fragen, ob diese Forscher und die heutigen Forscherinnen in dieser Tradition uns allen mit ihren Nachweisen nicht einen Bärendienst erwiesen haben.

Dazu fällt mir eine kleine Anekdote ein, die etwas Licht auf die Sache wirft. Ein Assistent Pavlovs replizierte den Versuch, wobei er den Klöppel des Glöckchens abmontierte. Die Hunde salvierten ohne das Ton-Signal. Irrte Pavlov nun grundsätzlich? Im Prinzip ja! Die Ergebnisse vergegenständlichen, was er herausfinden wollte. Setzte er seinen Einfluss auf Lebewesen einseitig ein? Das ist prinzipiell der Fall bei Experimenten und auch bei Tierversuchen, da sie Anordnungen darstellen, die zur Gewinnung von replizierbaren Erkenntnissen spezifisch ausgerichtet und orientiert werden.

Auch diese Einsicht stellt kein Novum dar. Abduktion nennt Charles Sanders Peirce das in Wissenschaftskreisen favorisierte Vorgehen. Man setzt Mittel und Kräfte an den Stellen ein, bei denen der Erfolg vorhersagbar und hoch wahrscheinlich gelingt, statt im Drüben zu fischen.

Jedenfalls dressierte Pavlov Hunde unter Laborbedingungen, “neurotisierte” und “normalisierte” Lebewesen im Blick auf existenzielle Verhaltensweisen erfolgreich, ohne jedoch die Versuchsleiter-Effekte hinreichend zu kontrollieren. Das heißt, sein Vorgehen beeinflusste seiner Überzeugung nach die Ergebnisse nicht. So sagen die Ergebnisse viel über die Beziehung des Forschers, seiner Versuchsanordnung und seinem Verhältnis zu seinen Probanden aus. Sie spiegeln seine über die Experimentalanordnung operationalisierte und in den Veröffentlichungen seiner Forschungserträge “objektivierte” Meinung. Ganz nebenbei begründete die Untersuchungsreihe seinen Ruhm – er erhielt den Nobelpreis – und die Bekanntheit seiner Einrichtung.

Kritisch betrachtet, sagt das Experiment wenig Konkretes über bedingte Reflexe. Es sagt weit mehr über Menschen, die forschen im Allgemeinen und I. P. Pavlov, den Reflexologen im Besonderen. Tatsächlich bestätigt uns Pavlov eine tiefe, wenn auch nicht neue Einsicht: die Karte ist nicht das Gebiet (Alfred Korzybski). Oder allgemeiner erfasst, die Wirkung ist nicht die Ursache. Auswirkungen von Unterschieden müssen mit Blick auf komplexe Zusammenhänge erfasst werden. Die Auswirkungen von Unterschieden sind als Umwandlungen (codierte Versionen) von vorausliegenden Ereignissen zu begreifen und können nur als Auslegungen samt den eingeflochtenen Kontextualisierungen verstanden werden.

Die Bedingtheit von Erfahrungen – soviel zeigt der erweiterte Versuch – wurden durch die Versuchsreihen nicht – wie behauptet und aufgezeichnet – lineal und kontrolliert manipuliert. Das voraus und zu Grunde liegende Erkenntnisinteresse, vielleicht auch die stillschweigend unterstellte Annahme haben offensichtlich das Ergebnis beeinflusst. Mit anderen Worten, die (“subjektiven”) Eigenschaften von Forscherinnen und Forschern fließen mit in das Verhalten der Probanden und in die Ergebnisse der Untersuchung ein.

Auch diese dritte und letzte Einsicht, die wir aus unserer Erörterung gewinnen, stellt kein Novum dar. Aber wir stoßen hier auf ein Verdikt und rühren ein Tabu an. Die Eigenschaften eines forschenden “Subjekts”, gleich ob Russe, Frau, Mann, Pavlov oder Skinner dürfen das Ergbnis nicht beeinflussen.

Uneigentliche Variablen

Experimente und Versuchsreihen sind codierte Versionen seitens der Experimentatoren, wobei ihre Erwartungen das Geschehen und die Ergebnisse bedingen. Weil diese Möglichkeit besteht, gibt es das Prinzip und das Verfahren der Objektivierung. Wenn ich von Objektivierung spreche und nicht von Objektivität der Forschung, dann ist diese Wortwahl dem Umstand geschuldet, dass „Objektivität“ nicht einfach existiert, sondern durch forschende „Subjekte“ unter Befolgung gewisser Regeln konstruiert und hergestellt werden muss. Sie selbst stellt ein Ideal dar, nämlich die Vorstellung und den Anspruch, dass die Ansichten, Überzeugungen und Einstellungen des individuellen Forschers weder den Vorgang noch das Ergebnis der Untersuchung beeinflussen. „Objektivität“ ist und bleibt ein Ideal.

Ich vermute, ein unkritischer Transfer von Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung mit Tieren auf Menschen ist heute eher die Regel, denn die Ausnahme. Das verhält sich auch und nicht zuletzt deshalb so, weil wir als Forscher/*innen weder unseren Kindern noch unserern Mitmenschen Sonden ins Gehirn pflanzen, sie durch einen Laborparcour schicken2, noch auch Krebsmedikamente an ihnen austesten, nachdem wir sie zuvor – im Namen der Forschung – erst einmal mit Krebszellen “kontaminierten”. Man könnte nun, das eine gegen das andere abwägen und schließen, das sei auch gut so.

Gleichzeitig ist die technische und praktische Verwertung maßgeblich für die Rahmung der Forschung. Sie ist, und zwar praktisch und theoretisch betrachtet, nicht zweckfrei noch wertfrei. Deshalb muss Forschung und Verwertung als komplexes Informationsaggregat immer in Hinblick auf Muster, Handlungsabfolgen und Einseitigkeiten kritisch untersucht werden. Und damit meine ich nicht die ethisch angehauchten Erklärungen bezüglich eventueller Interessenkonflikte beteiligter ForscherInnen.

Allgemein dürfen wir feststellen, Menschen erforschen andere Lebewesen, lebendige Verhaltensweisen und Zusammenhänge. Unter metaphysischen und dialogischen Aspekten ist die Frage berechtigt, was wir Menschen tun, wenn wir Schafe klonen, Stammzellen und Gene manipulieren, Labortiere kontaminieren. Die naheliegendste Antwort ist zu einfach, um der Kritik stand zu halten. Wir verfolgen zweckdienliche Interessen.

Was sonst könnte das Ziel unserer Forschungen biilden? Forrschung dient unseren Interessen und Zwecksetzungen. Menschen versuchen Kenntnisse und Einsichten zu gewinnen, wie Leben funktioniert. Und diese Erkenntnisse verwerten sie früher oder später, vor allem aber weder zweck- noch wertfrei.

Wir wollen nicht mehr wie Dr. Faustus in Goethes Klassiker wissen, was die Welt im innersten zusammenhält. Das Rätseln nach den verborgenen Ursachen, die Meta-Physik, tritt mit dem Siegeszug der Physik und der Naturwissenschaften in den Hintergrund. Die im englischen als “Hard Sciences” bezeichneten Wissenschaften haben uns mit den Naturgesetzen, der Mechanik und Thermodynamik einen besonderen Grad an Wissen und Voraussicht eröffnet.

Vermöge der Einsichten in die materiellen Bedingungen der Bewegungen und Geschehnisse auf der Erde und im Universum, der Rekonstruktion und Berechnungen durch mathematische Verfahren ist die Menschheit heute zu technischen und praktischen Leistungen fähig, von denen unserer Vorfahren nur träumen konnten. Dabei beziehe ich mich auch, aber nicht ausschließlich auf die Kriegskunst, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, Heilkunde und Medikamentenherstellung, …

Angespornt durch diese Erfolge untersuchen wir heute immer exakter und detailreicher, wie lebendige Prozesse im Blick auf körperliche Organisation implementiert sind. Wir sprechen von “Programmierung” und identifizieren, wie genau welche Bauformen und Bauweisen im Lauf der Stammesgeschichte selektioniert und über zahllose Generation von Population zu Population vererbt wurden. Und wir erklären, wie die Maschinerie unserer Gehirne, welches Verhalten bedingt und versuchen die “Mechanik” der angeborenen Verhaltensweisen der Individuen über die Genetik zu entschlüsseln.

Welcher Zusammenhang bedingt, lenkt und steuert Organismen, oder verursacht Krebs, Kriminalität und Sterblichkeit?

Wozu verwenden wir die Resultate? All dieses Wissen setzen Menschen praktisch und technisch ein. Unverfänglich mögen praktische und technische Fortschritte der Art erscheinen wie z.B. Menschen machen und beherrschen Feuer, bauen Häuser, schützen sich vor Wetter, Schaden, erleichtern sich die Arbeit durch Werkzeuge wie etwa Hammer, Hebel oder Rad.

Die These, dass zwischen menschlichem und tierischem Entwicklungsprinzip ein Unterschied besteht, so scheint es, gilt vielen und praktisch häufig als widerlegt. Doch diese Annahme ist im zweiten Sinne irreführend. Weil der selbstbestimmende Faktor einen zentralen Baustein meiner Argumentation darstellt, bin ich überzeugt, dass der aktuelle Trend, Menschen als Bio-Automaten zu begreifen, dem Menschlichen in uns Menschen einen Bärendienst erweist. Schon unsere Möglichkeiten zu eigenverantwortlichen Handeln und Erleben werden systematisch bestritten.

Theoreme

Fünf Theoreme zur Selbstregulierung, zu Unterscheidung, zur Codifizierung, zur Selektivität und zu Verständigung:

  1. Jede verkörperte Da-Seins-Form vollzieht ihr Leben eigenständig aufgrund eines unbestimmt bedingten Aufbaus und Ablaufs, indem sie sowohl erforderliche als auch mögliche Vorgänge wiederholt wirksam reguliert und das einmal begonnene Leben bis auf weiteres fortsetzt. In der Beziehung zu und im Wechsel mit ihrem Umfeld (Milieu) bewirken, bewegen und bemerken Lebewesen wichtige Übergänge und bedeutsame Auswirkungen als vorgängliche Umwandlungen (codierte Versionen) von fokussierten Ereignissen in Bezug zu markierten Rahmen (Bezugsrahmen).
  2. Weil wir (Lebewesen) unterscheiden müssen und können, um überhaupt etwas zu bemerken, zu bewegen und zu bewirken, erfassen wir (Beobachter*innen) und erleben wir (Lebewesen) “ausgezeichnete Vorgänglichkeit in situ”. Wir verwirklichen Lagen, Phasen und Pfade eines gegenwärtig aktuellen, zustandsabhängig und ergebnisoffen wandelbaren, daher unbestimmt bedingten Prozesses, kurz wir “leben”.
  3. Wir (Beobachter von Beobachtern von Lebewesen) betrachten “Erlebnisse”, “Handlungen”, “Reaktionen”, “Verhalten”, “Mitteilungen”, “Naturgesetze”, … – jeden einzelnen Aspekt eines erlebbaren und erlebten, beobachtbaren und beobachteten, thematisierbaren und thematisierten Sachverhaltes überhaupt – als Auslegungen aufgrund von Unterscheidungen und Kontextualisierungen, sei es einer aktiven und kontemplativen oder einer betrachtenden Einheit.
  4. Während wir (Lebewesen) bewegen, bemerken und bewirken, erzeugen wir eine codifizierte Version des Stroms aus fokussierten Ereignissen und markierter Geschehnisse. Indem wir (Beobachterinnen) Lebewesen – einschließlich Menschen – erkunden, erfassen und erklären, erzeugen wir eine codifizierte Version der Vielfalt an fokussierten Formen und markierten Varianten in einem ausgesuchten Lebensraum zu einer bestimmten Zeit, aus einer restriktiv eingeschränkten Perspektive, stets jedoch ohne die Totalität überhaupt zur Kenntnis nehmen zu können.
  5. Betrachterinnen thematisieren eine Reihe von codierten, mitgeteilten und zwischengelagerten Informationen über Sachverhalte der belebten wie unbelebten Natur in Form und mittels von Beschreibungen, während sie andere Sachverhalte unthematisch lassen müssen und möchten. Die Leserinnen und Zuhörerinnen verstehen und missverstehen die mitgeteilte Information, indem sie die Aussagen mit Blick auf Aufbau und Ablauf der Interaktion auslegen. Die Konversion kann glücken und scheitern. Tatsächlich aber gelten die Regeln der Verständigung und Informationsverarbeitung, denn wir sprechen innsgesamt von geistigen Vorgängen.

Verfassung, Anlagen und Leistungsfähigkeit eines beliebigen Lebewesens gründen auf stammesgeschichtlichen oder individualgeschichtlichen Entwicklungen. Wie Tiere erfahren Menschen umweltliche und körperliche Veränderungen. Rezeptoren der Haut, der Augen, der Ohren und praktisch das gesamte Sensorium vermitteln Bewegungen und Wahrnehmungen codiert aufgrund von Differenzen an die Nerven und die zentrale(n) Stelle(n).

Technisch gesprochen erzeugen Lebewesen durch alle Sinne ständig Unterschiede also “Daten”. Praktisch gesehen, wechseln verschiedene Nervenzustände in einer zeitlichen Folge oder bleiben gleich: ein Unterschied macht einen Unterschied oder keinen. Beide Sachverhalte können im Fluss der Erlebnisse von der erzeugenden Einheit als Unterschiede fokussiert werden, die in Bezug auf den Umgang mit Auswirkungen eines Vorgangs einen Unterschied bedeuten, also eine Information darstellen.

Prozessual betrachtet, besteht das Sensorium eines Individuums nicht aus einer Anzahl von festen Zuständen, sondern aus einen bewegten Fluss an neuronalen Unterschieden, die ineinander übergehen und einander fortgesetzt ablösen. Aus einigen Unterschieden erzeugen Lebewesen zu einem späteren Zeitpunkt weitere Übergänge. Jede einzelne dieser Unterscheidungen selegiert die Einheit durch fokussierte Aufmerksamkeiten und hält sie bis auf weiteres im Griff. Nur an sensorisch-motorischen Unterschieden oder Daten, die eine Einheit weiterleitet und bis auf weiteres vermag im Griff zu behalten, kann sie weiter anschließen und etwas bewirken.

Diesen neuronalen Datenfluss – und nicht kleine Abbildungen der Ereignisse und Geschehnisse – erzeugen Lebewesen durch ihre Sinnlichkeit mit der Gesamtheit aller Sinne. Eine analoge Rolle für die Erzeugung von Unterschieden spielt die Beweglichkeit eines Lebewesens. Beide Kompetenzen sind mit einander verknüpft, sie bedingen einander. Wir sagen: leben hängt von bewegen und wahrnehmen ab, sowie wahrnehmen von bewegen und bewegen von wahrnehmen abhängt. Wahrnehmung erfordert neben Sinnlichkeit immer auch Beweglichkeit als Voraussetzung.

Während die Bewegung einer Pflanze meist an einen Standpunkt verknüpft bleibt, bewegen sich Tiere und Menschen nicht allein beweglicher (agiler), sie nehmen auch agiler wahr und “kontrollieren” umfangreichere Existenzbereiche. Wir verzichten auf Belege für evidente Behauptungen, übertragen gleichzeitig eine Einsicht aus der Kleingruppenforschung: in kleinen Gruppen besteht die soziale Kontrolle aus der Interaktion.

Menschen sammeln rezeptorische Eindrücke im Rückenmark und im Gehirn. Der “Gehalt einer Meldung” ebenso wie die “Wichtigkeit oder Nichtigkeit einer Nachricht” kann nur durch das wahrnehmende Lebewesen bestimmt werden. Defacto wird beides – Gehalt und Wichtigkeit – ganz praktisch durch Aufmerksamkeitsprozesse selektioniert und hergestellt. Die Selektion geschieht neugieriig, spontan, kreativ und bis auf weiteres, indem das Lebewesen gewisse Unterscheidungen wiederholt vernachlässigt, vergisst oder schlicht übersieht, andere Akzentsetzungen wiederholt achtsam und wachsam im Auge behält.

Analog geraten bei Menschen bestimmte Partikel und Erlebnisse – abhängig von ihrem “Gehalt an Information” – potenziell eher in Vergessenheit, andere gelangen “ins Gedächtnis” – verblassen jedoch sobald das stützende Moment der lebhaften Erinnerung, den Griff mehr und mehr löst -, wieder andere Aspekte werden – abhängig von ihrem “Gehalt an Information” – zu vertrauten und wiederholten Kennzeichen des Bekannten und Gewohnten, z.B. die Haustür, der Arbeitsplatz, die Freundin oder der Freund.

Eine Information ist jedes Datum, jeder Nervenzustand, der im weiteren Verlauf der Verarbeitung mindestens einen Unterschied macht. Eine Information verändert das Ungleichgewicht eines Lebewesens relativ zu den voraus liegenden Zuständen. Der Unterschied wirkt in zwei Richtungen. Entweder verstärkt die im Verarbeitungsprozess erzeugte Information den voraus liegenden Zustand z.B. eine bereits vor liegende Erregung durch ein riskantes Ereignis, z.B. einen Knall oder sie dämpft die Erregung, weil sie ein Datum liefert, das die Situatin entschärft, z.B. ein zerplatzter Luftballon. Die Unterschiede von einem Moment zum anderen Effektoren vermitteln motorische und sensorische Organe resp. Nervenleitungen.

Jede Gruppe von Lebewesen und Individuen einer bestimmten Art leben in einem bestimmten Gebiet, sie ernähren sich, pflanzen sich fort und erhalten die wichtigen vitalen Vorgänge von sich aus, vermöge eigener Kreisläufe. Wie andere Lebewesen leben wir, ernähren uns, pflanzen uns fort und erhalten vitale Prozesse. Vermutlich sind die meisten Arten mit ihren Fähigkeiten sogar besser und optimaler ausgestattet, um effektiv in ihrem Lebensraum zu operieren. Maulwürfe verfügen über hoch sensible und taktile Behaarung der Schnauze, sie finden sich in meterlangen Gängen problemlos zurecht. Ratten sind ohne Probleme in der Lage, Futter und auch ihr “Zu Hause” finden, selbst wenn sie plötzlich erblinden sollten. Das Gros der Wildtiere ist hochgradig spezialisiert, besitzt Klauen, Krallen, Stoß- und Reißzähne, bringt komplett ausgebildete und selbständige Jungen zur Welt und operiert effektiv in ihrem Lebensraum. Gängige evolutionäre Ansätze erklären die Vielfalt an Lebensformen im Blick auf Aussterben und Überleben der Arten über die Zeiten. Jede zauf die Passung von Lebewesen und Lebensbedingungen zurück.

Wozu Menschen fähig sind, lässt sich leicht aufzählen: sie gehen, sprechen, denken und irren. Weil sie Aktionen und Erlebnisse nicht nur – wie Tiere – bemerken und bewirken, sondern auch immer wieder erkennen, das sie mehr und weniger erfahren können, als sie konkret vermögen umzusetzen, bildet die Grundlage der Möglichkeit menschlicher Erfahrungen. Allein um die Trias des Offensichtlichen zu widerlegen und die “besonderen” Merkmalseigenschaften von Menschen zu bestreiten, wurden viele Anstrengungen unternommen. Was mehr und mehr in den Hintergrund tritt, sind Freiheitsgrade, Spielräume und der selbst-bestimmende Faktor.

Tiere können lernen und zeigen “intelligentes” Verhalten. Und nicht nur Individuen der Kategorie “Säugetier” verhalten sich “intelligent”, z.B. Ratten, Delphine, Waschbären sondern auch Vögel, z.B. Kolkraben, Amseln, und auch Fische. Untersucht man tierisches Verhalten3, so besteht für Tierverhaltensforscher – den Nobelpreisträger Konrad Lorenz – kein Zweifel, dass Tiere – selbst Knochenfische – auf hindernde oder veränderte Umstände intelligent reagieren. Letztere etwa finden Lösungen in einer schwierigen Situation – Hindernisse auf dem Weg zur Beute – durch die Zusammenschau bzw. den “Vergleich” von zwei und mehr “Wegen zum Ziel”, ohne probieren zu müssen.

Einsichtiges Verhalten, das sei das Kriterium von Intelligenz, meinte schon Wilhelm Wundt, der Begründer der modernen Völker- und Individualpsychologie. Dieser Vorstellung folgt Lorenz und sieht in der Kombination zweier und mehrerer angeborener-arteigener “Bewegungsweisen” bereits den praktischen Ausdruck und auch Beleg für intelligentes Verhalten.

Wir dürfen vermuten, dass die praktische Intelligenz über Erfahrungen – und das nicht nur bei Menschen – zu Kenntnissen führt und durch Wiederholung zur genersichen Ausbildung von Gewohnheiten, z.B. Bevorzugung des bekannten Weges oder Vorgehens. Theoretische Intelligenz setzt Kategorien oder zumindest Einsicht in die Erzeugung von Klassen Typen ähnlicher Ereignisse oder Phänomene voraus. Auf einer höheren zur Voraussicht befähigt. Dazu gleich mehr.

Aber die Differenz zwischen menschlicher und tierischer Entwicklung gründet sich nicht allein auf die Beobachtung, dass Menschen weniger instinktiv und mehr intelligent als jede im Vergleich herangezogene Tierart handeln und erleben. So betrachtet, wäre Lorenz beizupflichten, wenn er sagt: “Ohne allen Zweifel ist der Mensch das an endogen-automatischen Bewegungsweisen ä r m s t e unter sämtlichen höheren Lebewesen”4.

Lorenz, Tinbergen, Craig und anderen Tierforschern verdanken wir Einsichten in die “angeborenen arteigenen Verhaltensweisen”. Gegenüber der behavoristischen Theorie (Watson) und der Reflexologie (Pavlov) versucht die Ethologie, die Produktion und Koordination von Bewegungsimpulsen als originäre Leistungen des (Zentral-)Nervensystems zu erklären. Der Fortschritt dieses Erklärungsansatzes für – tierisches und menschliches – Verhalten liegt nachweislich in einer parallelen Anlage von Organismus und Umwelt begründet. Der Ansatz konnte auf dieser konzeptionellen Grundlage mehr Phänomene mit weniger Variablen und Bedingungen erklären, v.a. auch spontane, kreative und neugierige Verhaltensweisen.

Klassische Behavioristen verlegten den Anlass für ein Verhalten nach außen in die Umwelt und die Gegenstände. Sie hüllten “endogene” Vorgänge, also Prozesse im Organismus, aufgrund der Tatsache unzulänglicher Einblicke in eine “black box”. Unter kategorischer Ablehnung jeder Art von Introspektion und in Ermangelung von bildgebenden oder anderen Messverfahren, modellierten Behavioristen der klassischen Schule Verhalten als exogen stimuliert.

Der Eigenanteil bleibt bei der klassischen Verhaltensforschung systematisch und entschiedener Maßen unberücksichtigt, da sie die Vertreter auf das sichtbare “behavior” in Kontrast zu “conduct” konzentrierten. Die Eigenständigkeit der Lebewesen trat mit der konzeptionellen Orientierung allerdings vollständig in den Hintergrund. Sie verschwand in der schwarzen Kiste der Konzeption zusammen mit allen anderen endogenen Momenten, die Verhalten “intrinsisch” erzeugen, lenken und beenden. Mit einen Bonmot von McDougal – einem Vertreter der purposive psychology – ausgedrückt, man kann ein Pferd zur Tränke führen, saufen muss es immer noch von selbst.

Ebenso aus dem Fokus der frühen Behavioristen gerieten unterschiedliche “Handlungs- und Erlebnisbereitschaften” im Blick auf verschiedene Lebewesen. Das war unter anderem auch an das experimentale Design geknüpft. Den Untersuchungen von B. F. Skinner verdankte die behavioristische Richtung der Psychologie des frühen 20. Jhd. noch viele ihrer Erkenntnisse über Verhalten. Auch für Skinners operantes Konditionieren lässt sich die Übertragung von Tiererkenntnissen auf Menschen nachvollziehen.Nicht weniges an Wissen aus diesem Zweig übernahm der amerkanische Soziologe Talcott Parsons in seine Handlungs- und Systemtheorie. Spätere Behavoristen aber auch bereits zeitgleich tätige “Social Behaviourists” – zu denen sich etwa Georg Herbert Mead zählte – weiteten die Perspektive und erstellten denkwürdige Konzeptionen.

Das Modell oder genauer die Modellierung folgt etwa diesem Muster: Wenn die Sache für das Lebewesen den Reiz darstellt, spiegelt sein Verhalten die schlüssige Reaktion, welche wiederum durch Anreize “erlernt” oder “dressiert” unterstellt werden musste. Für den Betrachter des Geschehens, wurde das Verhalten vor dieser Folie plausibel und erkärbar. Was das Lebewesen tat, erschien wie eine Antwort auf die Frage, die der Gegenstand stimulierte. Daher auch die Bezeichnung Stimulus-Response-Theorie oder Reiz-Reaktions-These.

Weiterführende Links zu diesem Abschnitt

http://psychclassics.yorku.ca/Skinner/Pigeon/

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Instrumentelle_und_operante_Konditionierung

Instinkt und Einsicht

Was Lorenz Arbeiten für uns darüber hinaus interessant macht, enthält der Aufsatz “Psychologie und Stammesgeschichte”3, in dem er den Voraussetzungen der Menschwerdung nachgeht. Die alte Frage Herders: was dem menschenähnlichsten Tiere fehle, dass es kein Mensch ward, wandelt er etwas um und fragt: “Was besitzt das menschenähnlichste Tier, der Pongide, daß gerade aus ihm der Mensch werden konnte?” Und er antwortet darauf in Anlehnung an Wilhelm Wundt: “Eine bestimmte Form einsichtigen Verhaltens, das in gleicher Ausbildung keinem anderen Tier zukommt oder je zukam.”

Lorenz definiert einsichtige i.e. intelligente Verhaltensweise auf zweifache Weise: a) sie ist nicht durch auf die Situation passende Instinktbewegungen und angeborene auslösende Mechanismen bedingt und b) sie meistert die Situation sofort nach ihrer Wahrnehmung ohne Versuch und Irrtum oder sonstige Lernvorgänge. Obwohl man solches Verhalten bei Menschen allgemein als intelligent bezeichnet, überrascht uns Lorenz mit der Einsicht, dass intelligentes Verhalten bereits aus dem Zusammenspiel zweier Orientierungsreaktionen entstehen könne, ohne dass dabei Bewusstsein ins Spiel kommen müsse.

Ohne Übertreibung können wir feststellen, dass Lorenz Intelligenz, intelligentes Verhalten – gleich ob ein Lebewesen nun bewusst oder instinktiv einsichtig handelt, wenn es ohne zu probieren von einem Zustand der Unorientiertheit in Zielorientheit umschwenkt – praktisch mit dem Stand des bei Art und Individuen ausgebildeten Orientierungssinn identifiziert. Gering orientierte Wesen sind dieser Auffassung nach auch dumm.

Mit “Instinkt” erfasst Konrad Lorenz ein System strukturell und prozesshaft ineinander greifender angeborener Verhaltensweisen:

  1. endogen-automatischer Bewegungsweisen
  2. angeborene auslösende Mechanismen (Niko Tinbergen)
  3. Auslöser

Der Organismus sucht – gedrängt durch angeborene auslösende Mechanismen aufgrund sogenannter Handlungsbereitschaften oder Handlungsimpulse – korrespondierende Reize in der Umgebung, die zur Erfüllung und Stillung ihrer Bewegungs-Impulse eignen.

Im Lebewesen liegende “kommandierende Instanzen” des Verhaltens korrespondieren mit in der Umwelt auftretenden Reizen in Form einer wechselseitigen Interaktion.
Dabei schafft – nicht nur aber auch bei Menschen – der angeborene Drang zur Erfüllung und Stillung in Ermangelung geeigneter Auslöser notfalls selbst den Stimulus, um die Triebabfuhr – im Grenzfall in Form sogenannter Leerlaufhandlungen – zu gewährleisten. Das Verhalten erfüllt zwar nicht den Bedarf, löst aber die aufgestaute Handlungsbereitschaft auf, wenn der Auslöser ausbleibt. Dieser regulative Prozess bildet die Regel.

Unschwer sind die Anleihen beim Funtionskreislauf des Biologen Jakob von Uexküll zu erkennen.

Hier ist nicht der Raum für eine umfassende Würdigung der Pionierleistungen Jakob von Uexkülls. Die Theorie konnte und kann Spontaneität, Reflexhaftigkeit und Invarianz der arteigenen Bewegungsweisen zusammen sehen, und die Beobachtungen zu diesen Phänomenen ursächlich und funktional erklären. Damit erweist sie sich den behvioristischen und reflexologischen Ansätzen überlegen. Beide mussten an dieser Stelle passen, insbesondere bei der Erklärung von Spontaneität und Kreativität – nicht nur aber vor allem auch bei Menschen beobachtbar.

Folgen wir noch ein letztes Mal Lorenz Ausführungen. Im Abschnitt “Spezialisation auf Nichtspezialisiertsein und die Neugier” setzt er sich kritisch mit dem philosophischen Anthropologen Arnold Gehlen auseinander. Im besonderen widerspricht er dessen Annahme, der Mensch sei ein Mängelwesen4. Nach Lorenz zeigt sich die Spezialisierung auf Nicht-Spezialisiertheit an einer Reihe mittlerer Befähigungen. Menschen können, schwimmen, gehen, klettern, krabbeln, graben, denken … sind aber unspezifisch in ihren Befähigungen und Begabungen, so dass sie in keiner der genannten eine arteigene Meisterschaft ausgebildet hätten. Auszunehmen ist einzig das Gehirn – Stamm-, Zwischen- und Großhirn. Letzteres hat sich auf eine bestimmte und menschentypische Weise vergrößert und geradezu spezifisch “spezialisiert”. Man spricht von “Cerebralisierung”.

Für uns bleibt festzuhalten, dass Intelligenz und intelligentes Verhalten – wie häufig strapaziert – nicht schon das Alleinstellungsmerkmal des Menschlichen im einzelnen Menschen und der Menschenart insgesamt abgeben. Im entwickelten Orientierungssinn, der ausgebildeten und vermutlich angeborenen Fähigkeit zur Raum-Repräsentanz unserer – mit Pongiden – gemeinsamen Vorfahren liegt das Potenzial und der Schlüssel für die Loslösung von einem evolutionären Prinzip, aber sie ist noch nicht die Erklärung der Frage nach dem Unterschied Pongide/Mensch.

Dieses Prinzip steuert – folgen wir Lorenz – die Entwicklung weit stärker instinkthaft, umso weniger orientiert die jeweilige Tierart sich verhält und zwingt sie umso strikter in die körperliche Anpassung an die Gegebenheiten ihrer Umwelt. Das Entwicklungsprinzip fortschreitender Spezialisierung in relativer Bedingtheit und Abhängigkeit vom “Anpassungsdruck” des Milieus, begreift Paul Alsberg bereits als “Körperprinzip”.

Die körperlichen Bewegungen, die vegetativen Vorgänge, das animalische Verhalten und das persönlichen Tun und Lassen all das scheint allgemeinen Grundsätzen zu folgen. Tatsächlich benötigt kein Lebewesen kategoriale Klassifikationen, um effektiv in seinem Lebensraum zu operieren außer uns Menschen.

Unsere Argumentation setzt beim Körperprinzip an und geht von da aus weiter. Ohne die gemeinsame Herkunft von Menschenaffen und Menschen zu bestreiten, behaupten wir unter Bezug auf die soziologische Anthropologie Dieter Claessens, dass wir als Art den Evolutiosnpfad unserer tierischen Urahnen verlassen haben. Die menschliche Spezies hat sich vom tierischen Körperprinzip mit seinen hochspezialisierten Leistungen unter Anpassungsdruck der umweltlichen Bedingtheiten soweit emanzipiert, dass ein zweiter Entwicklungsweg eingeschlagen werden konnte. Damit identifizieren wir eine Unterscheidung, die sofern man die damit codierte Version ernst nimmt und für bedeutsam erklärt, den Unterschied von Tieren und Menschen nicht nur evident begründet, sondern zur Grundlage für ein umfassenderes Verständnis avanciert.

Körperanpassung und Körperausschaltung

Mit der Emanzipation von Spezialisierung schlagen wir einen alternativen Weg der Argumentation ein. Gilt Spezialisierung heute für die synthetisierte Evolutionstheorie allgemein als evolutionärer Vorteil, so postulieren wir, dass Spezialisierung zwar einer besseren Eignung relativ zu ökologischen Bedingungen dient, gleichzeitig mit dem erreichten Fit aber auch die Abhängigkeit von Veränderungen der Umwelt wächst. Mit der Verfestigung der Anpassung in konstitutioneller wie auch in vorgänglicher Weise wird Anpassung mit wachsender Spezialisierung zunächst immer schwerfälliger und schließlich unwahrscheinlich, wenn die ökologische Entwicklung “die Richtung” ändert. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung stellen u.a. die Dinosaurier dar. Im “Daseinskampf” durch ihre Größenentwicklung fraglos fit für das Überleben unter sonst gleichen Bedingungen, fehlt es an Flexibilität mit den Folgen einer Naturkatastrophe fertig zu werden. Die vermutlich fitteste Art ihrer Zeit stirbt aus.

Natürlich wird ein Evolutionsforscher sagen, wir erklären ja auch nur den Normallauf ceteris paribus. Aber das Beispiel ist ja auch nicht das Argument, sondern eine Illustration des Umstandes, dass der Fit zur Verfestigung von Eigenschaften führen, die zu einer historischen Ökologie passen. Wäre eine Art spezialisiert auf Nichtspezialisiertsein, hätte sie höhere Chance gehabt, das Desaster zu überleben. Dementsprechend lautet das Argument: Zwar ist eine Spezialisiertheit auf Nichtspezialisiertsein kaum mit der konventionellen Evolutionstheorie erklärbar und kann nicht als evolutionärer Vorteil vertreten werden, doch kann die Entwicklung einer Spezies durchaus als “sozial-kultureller” Fortschritt begriffen werden.

Was hat dazu geführt, dass die Menschenart, die – wie wir heute weitgehend zweifelsfrei annehmen – von der gleichen Entwicklungslinie abstammt wie die Primaten und im gleichen Umfang wie diese, einem evolutionär unterstellten Anpassungsdruck unterlag, sich vom Körperprinzip soweit abkoppeln konnte, dass das Verhalten menschlicher Individuen im Blick auf Instinktlenkung vergleichsweise rückgebildet und zugleich freigestellt ist.

Ohne hier auf eine langwierige Belegsammlung zu verweisen, greife ich auf die fundierte und schlüssige Argumentation von Dieter Claessens zurück und ergänze die Argumentation in Hinblick auf die Thematik der Großhirnentwicklung.

In der Kombination von Körperausschaltung (Paul Alsberg) und Insulation gegenüber umweltlicher Pression (Hugh Miller), argumentiert Dieter Claessens, habe sich die Menschenart über Jahrtausende vom Anpassungsdruck an umweltliche Bedingtheiten – und damit vom Gängelwagen der Instinkte (I. Kant) – weitgehend ablösen können. Dass mit den damit gewonnenen Freiheitsgraden auch fundamentale Verunsicherungen und Gefährdungen auftreten, erklärt u.a. den Bedarf an Selbstvergewisserung und Orientierung.

Damit erweist sich Körperausschaltung als gleichermaßen erklärungs- wie wirkmächtiges Entwicklungsprinzip des Menschlichen im Kontrast zum Körperprinzip. Letzteres zwingt bewegliche Lebewesen – im Kontext erforderlicher Affinität zum Lebensraum – sich körperlich so zu spezialisieren, dass sie “ohne Nachdenken” und “ohne Lernen” zu müssen, als Individuen in Passung mit ihrem Milieu leben können und als Population zumindest eine bestimmte Zeitspanne überleben.

Anpasssung und Spezialisierung sind alternativloser Ausdruck des Körperprinzips, dessen Funktion – wie wir heute im Sinne der Evolutionstheorie argumentieren – darin besteht, das Überleben einer Population sicher zu stellen. Die Tendenz bestmöglicher Abgestimmtheit allerdings birgt stets die Gefahr in einer Sackgasse zu landen, schließlich ändern sich auch die Umweltbedingungen und Verhältnisse. Ändern sich die Milieubedingungen, z.B. durch klimatische Veränderungen, oder extraterristische Katastrophen, erweist sich die Passung als Zwangsjacke und die Art stirbt aus, da sie die Anpassung alternativlos inkorporiert hat. Gerade dieses Moment, das durch Inkorporation das instinkthafte Verhalten zum Gängelwagen macht, ist der Ausgangspunkt unseres Plädoyers für ein alternatives Entwicklungsprinzip.

Mit der Körperausschaltung schlägt die Menschheit – deren Deszendenz Alsberg wie Claessens und mir definitiv als unbestreitbar gilt – ausgehend von räumlich gut orientierten und einigermaßen kräftigen Ahnen mit Händen einen anderen Weg ein. Die gemeinsamen Ahnen von Affen und Menschen nutzen – wie auch immer zufällig sie die Wirkung entdeckt haben – eine “außerkörperliche Abwehrmethode”: sie werfen vermutlich mit Steinen auf ihre Verfolger und halten diese auf Distanz oder verjagen sie. Das Werkzeug – in Alsbergs These Steine andere vermuten Stöcke – dient nicht wie Gehlen unterstellt der Organverlängerung. Laut Alsberg kommt hier die Ausschaltung des wirkmächtigen Körperprinzip zum Zug. Das Körperprinzip – ursprünglich in Form von Fluchttendenz und Überlebenschance zwingend wirksam – wird von einigen Individuen der Art durch alternative Möglichkeiten – hier der Gegenwehr trotz mangelhafter bzw. unterlegener Körperausstattung – ersetzt. In analoger Weise und über Zeiträume von Jahrhundertausenden hinweg wird der Körper durch wiederholte Erfahrung der Wirksamkeit von Werkzeugen immer wieder und auch weiter ausgeschaltet.

Hier ist nicht der Ort für eine ausführliche Beantwortung dieser Frage. Wer will findet sie bei Dieter Claessens (1968): Instinkt, Psyche, Geltung. Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens. Eine soziologische Anthropologie. Köln und Opladen. M

Der Ertrag dieser Studie dient uns als theoretische Grundlage für die Frage nach der “Plastizität” menschlichen Verhaltens

Die zugrunde liegenden oder gelegten Beweggründe (Motive, Absichten, Interessen, Wünsche, Begehren, Abscheu, …) sind uns einsichtig oder wir verbergen sie vor uns und oder anderen. Der dabei verfolgte Grund mag von uns dar- und herausgestellt werden oder unerwähnt bleiben und mit Absicht verheimlicht werden. Den wirksamen Antrieb unseres Tun und Lassens stellt das Motiv ebenso dar wie ein wissentlich oder unwissentlich anvisiertes Ziel oder beabsichtiger Zweck unser Handeln und Erleben lenken mag. Ohne Beweggrund keine Bewegung und ohne Bewegung keine Wirkung und ohne Wirkung oder Folge erfahren wir einen Mangel an Bedeutung oder verlieren das Gefühl etwas zu gelten. Das mag soweit gehen, dass wir verzweifeln, weil wir die Wozu-Fragen nicht mehr so beantworten können, dass unser Da-Sein und unser So-Sein noch irgendeinen Sinn für uns macht.

Gleichzeitig ist unsere Wahrnehmung – nicht anders wie bei anderen Lebewesen – so aufgebaut, dass wir andere Dinge weniger stark bis kaum noch beachten und unsere Wahrnehmungsorgane modulo Rezeptoren nur das fokussieren, was aktuell unsere Aufmerksamkeit gewinnt. Der Rest wird ausgesondert und wird zum Rauschen des Hintergrundes. Mit anderen Worten, was auch immer unsere Aufmerksamkeit gewinnt, erregt unser Interesse/unsere Neugier aufgrund potenzieller oder aktueller Bedeutung für uns.

Indem wir unterscheiden – Vordergrund und Hintergrund, Sache und Raum, hier und dort, jetzt und dann, heute, gestern und morgen, …, nehmen wir nicht einfach nur wahr, sondern deuten, was der Fall ist. Wir erleben und handeln, bemerken und bewirken, erfahren und bezeichnen, was in dem Raum um uns herum an sinnlichen Dingen auftaucht, unbewegt weiter fortbestehen und was sich – im Verhältnis zu uns und anderem – daran bewegt und seine Lage, sein Aussehen oder den Standort verändert.

Wir erfahren also aktiv, ob Veränderungen und welche eintreten oder nicht, und zwar relativ zu uns, unseren Kenntnissen, Fähigkeiten, Wünschen, unseren voraus liegenden Erfahrungen, Zuständen, Lagen, Beziehungen und Befindlichkeiten. Die Idee, dass uns etwas widerfährt und wir passiv oder reaktiv rein mechanisch auf Reize antworten, ist irreführend. Organismen operieren im Wechsel mit ihrer Umgebung und erzeugen interoperativ ein faktisches Milieu, einen Rahmen für aktuelle und potenzielle Erfahrungen.

Schon Tiere sind keine instinktgesteuerten Reiz-Reaktions-Maschinen, sondern ? und Menschen sind keine Bio-Automaten, sondern verhalten sich .

Im Kontakt und Austausch mit dem, was der Fall ist, erfahren bereits Kleinstkinder bestimmte Erlebnisse und Handlungen unterschiedlich. Grundsätzlich erfahren Menschen – so auch bereits Embryos und Babies -, was geschieht oder ausbleibt, anhand und aufgrund von Übergängen und Kontinuitäten ihrer leibkörperlichen Bewegungen und Empfindungen, Lage und Zustand.

Wenn ein Embryo heranwächst, schwimmt es umgeben von Flüssigkeiten der Gebärmutter und erfährt, was der Fall ist – und damit seine Welt – als Begrenzung und Rahmen aller Bewegung und Empfindung. Zum Erfahrungsspektrum zählen – wie wir heute wissen – neben taktilen Erkundungen des Raums, auditive und visuelle Eindrücke, ein situations- und richtungsbasiertes Unterscheiden dürfte vom Embryo – wenn überhaupt – erst rudimentär ausgebildet werden können.

Von den spontanen Anfängen sammeln wir Erfahrungen über die Welt, die uns umgibt, in der wir uns bewegen und erleben, was geschieht und was wir bewirken. Über Kontakt, Begegnung und Austausch gewinnen wir Einsichten und Aussichten. Wir sprechen also von wechselwirksamen Aktivitäten und den durch eine lebende Einheit festgestellten Auswirkungen.

BEDINGTHEIT DER ERFAHRUNG UND PRAKTISCHE INTELLIGENZ

Menschen können sich nun – im Unterschied zu Tieren, Pflanzen und Steinen – der Bedingtheit ihrer Gedanken, Mitteilungen, Erlebnisse, Handlungen und damit ihrem Verhalten insgesamt bewusst werden.

Damit will ich weder bestreiten, dass Tiere bewusst handeln und erleben könnten oder auch, dass sie zu intelligenten Verhaltensweisen fähig wären. Auch Tiere stutzen und haben Aha-Erlebnisse, handeln umwegig und zielsicher ohne probieren zu müssen oder zu suchen, z.B. Ratten, Kolkraben, Delphine. Ausschlaggebend für den Unterschied in Sachen praktischer Intelligenz und die Unterscheidung Mensch-Tier ist, dass Menschen sich im Laufe der evolutionären Entwicklung vom Körperprinzip ablösen konnten.

inerseits mit den wahr- genom die verfügbaren oder einschränkenden Widerstände, Möglichkeiten, Bedrohungen, Chancen, Risiken zwischen einer lebenden Einheit in einem Rückmeldungen. Beide Formen der Interaktion – Erlebnisse wie Handlungen – zeigen also Auswirkungen. Dass Auswirkungen nicht allein von unserem kleinkindlichen Akteur festgestellt werden, sondern auch Manches, was wir freut, erregt und begeistert uns, fühlt sich angenehm, anregend, lustvoll an und zieht uns an, anderes widersteht uns, schmerzt und drückt uns, fühlt sich widerwärtig, abstoßend, leidvoll an und lässt uns auf Abstand gehen, jeden weiteren Kontakt impulsiv meiden.

So zählen Freude und Leid, Glück und Unglück, Erfüllung und Enttäuschung, Lust und Schmerz zu den elemenmtaren Erfahrungen jedes Menschen. Wie bereits in der Beschreibung anklingt, fühlen wir uns von Erfahrungen, die uns Freude, Glück, Erfüllung gewinnen wir Einsichten bilden wir als leicht und angenehm oder schwierig und peinlich erleben, was uns gelingt und misslingt, was uns wohl tut oder übel aufstößt macht jeder von uns seine Erfahrungen. Erlebnissen und Handlungen


  1. Adam C. G. Crego, Fabián Štoček, Alec G. Marchuk, James E. Carmichael, Matthijs A. A. van der Meer and Kyle S. Smith: Complementary Control over Habits and Behavioral Vigor by Phasic Activity in the Dorsolateral Striatum in: Journal of Neuroscience 4 March 2020, 40 (10) 2139-2153; DOI: https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.1313-19.2019
  2. Vicente, A. M., Galvão-Ferreira, P., Tecuapetla, F., & Costa, R. M. (2016). Direct and indirect dorsolateral striatum pathways reinforce different action strategies. Current biology : CB, 26(7), R267–R269. https://doi.org/10.1016/j.cub.2016.02.036 [Titel anhand dieser DOI in Citavi-Projekt übernehmen]
  3. vgl. die Arbeiten zur Bewegungskoordination von Konrad Lorenz (1965): Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen 1954, sowie ders. (1963): Das sogenannte Böse. Wien – 
  4. a.a.O Bd. II 1965:165, hier zit. nach Claessems, Dieter 1968:57