Theorien taugen zu nichts

Jedes Jahr treiben in unserem Garten Sprösslinge aus. Kein Mensch hat sie ausgebracht: Ahorn-, Eichen-, Buchen-, Kastanientriebe, Schneeglöckchen, Bärlauch, … und zehntausend andere Gewächse keimen und wachsen von selbst.

Die gesamte „lebendige“ Natur vollzieht Vorgänge von sich aus. Eigenbewegte und eigenregulierte Vorgänge bilden typische Merkmale lebendiger Systeme: Menschen, Tiere, Pflanzen und alle anderen Formen operieren eigenständig. Lebewesen erzeugen und reproduzieren für sie erforderliche und ihnen angelegene Bewegungen von selbst.

Jede Lebensform wechselwirkt auf der Ebene organischer Vorgänge mit veränderlichen und beständigen Größen ihrer Umgebung (z.B. Stoffwechsel bei Tieren und Pilzen, Photosynthese bei Pflanzen). Dieser Prozess wird von Physiologen, Bio-Chemikern, Medizinern, … häufig als lineale Verursachung im Rahmen kinematischer und thermodynamischer Naturgesetzlichkeiten aufgefasst und unterschiedslos analog einer physikalischen Bewegungsreihe dargestellt. Zwar ist das zugrundelegte Modell der „Kausalität“ angemessen und sinnvoll für die beobachteten Bewegungen unbelebter „Körper“. Lineale und anlytische Kausalitäten greifen – synthetisch und integrativ betrachtet – zu kurz, wenn wir die Eigendynamik und Wandelbarkeit belebter Prozesse „ursächlich“ verstehen und erklären wollen.

Wie ist es möglich, dass sich Einheiten eigenwertig bewegen, ihre Eigenständigkeit als ontische Einheit in Beziehung zu ihrem Umfeld notwendig wirksam behaupten und sich zugleich kontinuierlich als Teil einer umfassenderen Einheit verwirklichen?

Die Frage wirft ein erkenntnistheoretisches Problem auf. Sie zielt auf die Kontingenz alles Seienden. Prozesshaft betrachtet fallen Wirklichkeit und Verwirklichung des Lebens auseinander. Hinterher können wir sagen, dass diese Art einschließlich unserer eigene Spezies überlebt hat. Im Verlauf der Verwirklichung des Lebens erweist sich die „Wirklichkeit“ als ein Konglomerat aus „Notwendigkeiten“ oder „Kausalitäten“ und „Möglichkeiten“ oder „Zufälligkeiten“.

Während man mit „Kausalität“ im Blick auf Naturgesetzlichkeit lange Zeit glaubte, Notwendigkeit und Möglichkeit in eins setzen zu können, und damit das Zufällige und Unwägbare der menschlichen Existenz in den Griff zu bekommen, hat spätestens die „Brownsche Molekularbewegung“, die Heisenbergsche Unschärfenkorrelation ein wenig die Einsicht gefördert, dass wir Beobachter die Wirklichkeit stets in dem Umfang rekonstruieren, wie unsere Modelle reichen.

Wissen setzt Erkenntnis voraus. Und erkennen setzt nicht einfach bei Gegenständen an. Der Vorgang beginnt mit der Neugier, dem Interesse und den Motiven dessen, der etwas, eine Sache oder ein Lebewesen beobachtet. Was sie oder er

Jede lebendige Einheit „bewegt“, „bemerkt“ und „bewirkt“ aufgrund einer „rekursiv-somatischen Bauweise“ organisch-vegetative Vorgänge ebenso eigenständig wie Orts- und Lageveränderungen. Und ja, natürlich benötigt jedes Lebewesen Energie und Materie. Beides können wir als Ursache einer Bewegung anführen und den sicheren Wärmetod prognostizieren. Doch haben wir damit eine notwendige und hinreichende Begründung eigenwertiger Beweglichkeit, Selbstbehauptung und Integration bewerkstelligt?

Weil Lebewesen sich eigenständig bewegen, unterscheiden einige Beobachter sie aufgrund ihrer somatischen Strukturen gegenüber unbelebter Materie, z.B. Steinen, Planeten, Licht, Wellen. Letztere stellen, wie unbelebte Materie insgesamt, den Gegenstand der Naturwissenschaften dar. Im englischen auch als „hard science“ tituliert, weil sie „Fakten“ nicht-reaktiver und „immanente“ Bestandteile der Umgebung erforschen, Licht, Wärme. Bewegung, Wellen, Entropie.

Im Unterschied dazu schließen sich lebendige Einheiten, bedingt durch ihre „Bau- und Funktionsweise“, in Bezug zum Umraum „operativ“ und „spezifizieren“ ihr Verhältnis zur Umgebung sui generis. Diese Besonderheit allein rechtfertigt eine Unterscheidung, wenn gleich keine monolithische.

Oder, was den gleichen Sachverhalt „funktional“ ausdrückt: um leisten zu können, was sie vorgänglich und nachhaltig selbst erzeugen, haben alle uns bekannten Lebensformen eine „Zwischenschicht“ aufgebaut, z.B. Membran, Zellhaut, … . Mittels dieser „Zwischenschicht“ filtern und regulieren Lebewesen nicht allein den Austausch, die Aufnahme und Abgabe gewisser „Stoffe“, wie z.B. Licht, Luft, Wasser, Kohlenhydrate, … sondern sie „bestimmen“ ihre Beziehung zu gewissen Aspekten der Umgebung. Diese allgemeine Charakteristik nennen wir sie „Selbstbestimmtheit“ erscheint mir ein obligatorisches Kennzeichen lebendiger Systeme überhaupt zu sein.

So betrachtet und verstanden, „definiert“ die lebendige Einheit im Fokus oder eine Ansammlung gleichartiger Einheiten im Wechsel miteinander, die für sie „notwendigen und angelegenen“ Strukturen der Umwelt. Aus dieser Perspektive „selegiert“, „variiert“ und „retendiert“ die jeweilige Lebensform ihren Existenzbereich oder ihr „Milieu‘ im Blick auf „Passung“, „Verträglichkeit“, „Überlebensfähigkeit“, … Mit anderen Worten jede Lebensform verwirklicht aufgrund einer anorganisch-organischen eigenständigen Körperlichkeit eine jeweils spezifisch strukturierte und angemessene „Wirklichkeit“ im Rahmen von Möglichkeiten und Notwendigkeiten.

Lebewesen, einschließlich Menschen „leben“, darin besteht der originäre Prozess und die genuine Leistung. Die Form und das Medium das Lebewesen dazu „verwenden“ oder „einsetzen“, nenne ich Leib oder Körper, genauer müsste man von „bewohnen“ oder was ich bevorzuge, von „verkörpern“ sprechen. Auch Physiker sprechen von „Körper“, bezeichnen aber einen etwas anderen Aspekt oder Schwerpunkt: die Masse und ihre Trägheit.

Deshalb schlage ich vor, wir typifizieren lebendige in Form einer durchlässigen und flüssigen Unterscheidung im Unterschied zu physikalischen Bewegungen z.B. newtonscher Dynamik oder Wärmelehre mit der Eigenschaft „autosomatisch“, somatisch = leibkörperlich von gr. soma = Körper oder Leib und gr. auto = selbst.

Bewusst stelle ich somatische Analogien statt technischer oder maschineller Metaphern in den Mittelpunkt der ansatzweise skizzierten Sichtweise. Bei eigenwertig umgesetzten Bewegungen auf somatischer Grundlage im Unterschied zu rechenmaschinellen Algorithmen oder technischen Mechanismen, spreche ich analog und allgemein von „somatogenen Vorgängen“.

Dabei bin ich mir bewusst, dass der Name weder die Sache noch die Karte das Gebiet ist. Gleichzeitig und indem ich von einer „Typik“ statt von einer „Klassifikation“ spreche, beabsichtige ich eine Ausweitung einer m.E. zu eng gefassten, mechanisch-technisch motivierten Rekonstruktion lebendiger Vorgänge.

Ebenfalls bin ich mir mit dem Scholastiker Augustinus im Klaren darüber, dass Theorien weder etwas erzeugen noch etwas bewirken: theoria non fungit. Sie taugen zu nichts, es sei denn, man wendet die Sichtweise an und setzt sie praktisch ein.

Andrerseits kommen zumindest Beobachter, gleich ob ihr Erkenntnisinteresse sie nun motiviert Steine, Universen oder Menschen und Gesellschaften zu untersuchen, nicht ohne „Beschreibungen“ aus, Zahlen, Symbole, Worte, Begriffe, Aussagen, Annahmen, Beweise, … . Alles Wissen wird von jemand für jemand beschrieben und dabei ausgelegt. Und in diesem Fall sprechen wir definitiv von unserer menschlichen Spezies und behandeln Sachverhalte, die den Gesetzmäßigkeiten geistiger Gegenstände eignen. Das thematisiert den gordischen Knoten, von dem Gregory Bateson einst überzeugt aussagte, dass Geist und Natur eine notwendige Einheit bildeten.

Kriterien des geistigen Prozesses

Indem die Mitglieder einer Gruppe strukturbedingte Anforderungen ihrer Art in einem lokal begrenzten Umfeld einlösen und sich vermehren, erhalten sie die eigene Möglichkeit ihrer Existenz über eine bestimmte Anzahl von Generationen hinweg. Die Population überlebt. Überleben umschreibt, dass es einer Ansammlung von lebendigen Individuen – Organellen, Pflanzen, Tieren oder Menschen – gelingt, im Verlauf der Interaktion eine fließgleichgewichtige Balance im Wechsel mit gleichartigen sowie andersartigen Individuen und für sie wichtigen Größen des Umfeldes insgesamt zu verwirklichen.

Wie bereits Bateson feststellt, Wandel durch Anpassen kurz Anpassung kann verschiedene Ausdrucksformen annehmen: Evolution, Entwicklung, Lernen

Zentral ist dabei, dass eine Einheit mit bestimmten Aspekten ihrer Umwelt in ein Verhältnis eintritt und interagiert. Herauszustellen wäre m.E. der Sachverhalt, dass es sich bei Anpassung weder um einen einseitigen Sachverhalt seitens der organismischen Einheit handelt, noch um einen statischen und abgeschlossenen Aspekt des Verhältnisses. Anpassung ist wie tanzen, das Ergebnis wechselseitiger Einflussnahme und Einwirkung, mit anderen Worten eine Wechselwirkbeziehung.

Wechselwirkung stellt ein konstitutives Kriterium des geistigen Prozesses dar, wie Bateson an anderer Stelle (Vgl. Ders. 1997: Natur und Geist. Eine notwendige Einheit. S.113 ff.) ausführt.

1. Ein Geist ist ein Aggregat von zusammenwirkenden Teilen oder Komponenten.

2. Die Wechselwirkung zwischen Teilen des Geistes wird durch Unterschiede ausgelöst, und ein Unterschied ist ein nichtsubstantielles Phänomen, das nicht in Raum und Zeit lokalisiert ist; Unterschiede sind eher mit Negentropie und Entropie als mit Energie verwandt.

3. Der geistige Prozess braucht kollaterale Energie.

4. Der geistige Prozeß verlangt zirkuläre (oder noch komplexere) Determinationsketten.

5. Im geistigen Prozeß müssen die Auswirkungen von Unterschieden als Umwandlungen (d.h. codierte Versionen) von vorausgegangenen Ereignissen aufgefaßt werden. Die Regeln dieser Transformation müssen vergleichsweise beständig sein (d.h. beständiger als der Inhalt), aber sie unterliegen selbst der Transformation.

6. Die Beschreibung und Klassifizierung dieser Transformationsprozesse enthüllen eine Hierarchie von logischen Typen, die den Phänomenen immanent sind.

Bateson 1997:113 f.

Liebe Leserinnen, liebe Leser: Engagieren wir uns und schauen!

Autosomatische Organisation lebendiger Prozesse

Somatogene Abläufe und somatische Strukturen bewegen lebendige Einheiten selbst-bezüglich auf der Grundlage wandelbarer Zustände. Anders formuliert, ausgelöst und reguliert durch eigene Zustandsübergänge, vollziehen Lebewesen hoch komplexe Vorgänge, regulieren, lenken, korrigieren den Verlauf auf der Grundlage eigenwertiger Schwellen und erzeugen, was sie originär ausmacht: sie leben und erhalten selbst, die dazu erforderlichen Prozesse.

Der Grund und der Anlass, wofür eine Einheit sich selbständig bewegen kann und bewegen muss, gründet vermutlich in der Art und Weise, wie sie „aufgebaut“, „angelegt“, „ausgestattet“ und „eingerichtet“ ist. Wie die Formation des Lebens organisiert ist, bedingt die Möglichkeit, wie die Einheit im Fokus lebendige Prozesse „verkörpert“. Diese) Annahme allein, so wir sie belegen könnten, würde uns erlauben von der rekursiven Organisation als Voraussertzung der Möglichkeit somatogenetischer Prozesse zu sprechen.

Überlassen wir die fachkundige und detaillierte Erklärung des Lebens den Biologen, Chemikern und Physiologen. Was ich im Blick auf eine anschlüssige Betrachtung nutzen möchte, ist die Annahme eines rekursiv organisierten Autosomatismus. Nehmen wir also zunächst an, jedes Lebewesen sei tatsächlich fähig, sich durch eine Schicht/Membran/Haut mehr oder weniger wirksam abzuschließen. Für die Annahme sprechen einige Befunde, nicht zuletzt das Argument, dass ein Lebewesen stirbt, wenn die Schicht auch nur zu einem gewissen Anteil beschädigt wird.

Wie bereits angedeutet, stellt die „Zwischenschicht“ eine Art Grenze mit Filter dar. Dank dieser „Einrichtung“ muss und kann die Einheit nun unterscheiden, was bezogen auf ihre „Binnenvorgänge“ „zuträglich“ und was „abträglich“ erscheint. Sobald sie darüberhinaus durch ihre eigenen Strukturen näher bestimmte Stoffe, z.B. Lichtteilchen/-wellen oder Stoffteilchen in die eigenen Kreisläufe „aufnimmt“, muss sie diese „verwerten“ oder zumindest „verarbeiten“ können, ohne dass deren „Einfluss“ die Einheit gefährdet. Diese Aussage erfasst eine elementare Bedingung und reformuliert sie als normative Regelmäßigkeit im Rahmen von Lebensfähigkeit und Lebensprozess. Ohne Bezug auf das lebendige System im Fokus unserer Betrachtung gilt sie als universelle conditio sine qua non.

Anders ausgedrückt, leben ist ein riskanter Vorgang. Denn von Beginn an besteht eine gewisse Ungewissheit, ob der Einheit im Fokus überleben gelingt oder ob sie an dieser Herausforderung scheitert. Leben eignet eine unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit, was ein erweiterter Blick ins Universum belegen mag.

Analoges gilt für eine Ansammlung von Einheiten an einem bestimmten Ort. Mit Blick auf die Lebenswirklichkeit besteht also kein Zweifel an der prinzipiellen Notwendigkeit, wirksam – und zwar wiederholt – zu unterscheiden. In praktischer Hinsicht verwirklicht die Einheit dieses Erfordernis im Rahmen ihrer Möglichkeiten, indem sie Gelegenheiten mit bedrohlichen oder zerstörerischen Auswirkungen meidet oder Gefahren beseitigt und förderliche oder zuträgliche Auswirkungen sucht.

Das ist nun zwar praktisch seit Jahrmillionen auf der Erde bei lebendigen Phänomenen der Fall und seither quasi immer schon gelungen, aber keinesfalls ein trivialer Prozess. Was lebendige Systeme ungeachtet unserer irrigen oder angemessenen Erklärungen und technischer Nachbauten vermögen und nachhaltig belegen, ist die Tatsache, dass sie im Blick auf ihre lebensnotwendigen Erfordernisse in ihrem jeweiligen Milieus wirksam operieren.

Lebensnotwendig in einem direkten Verständnis sowohl für die betrachtete Einheit im Fokus als auch im Blick auf den Fortbestand der „Lebenssphäre“ insgesamt sind, wie heute jedes Schulkind lernt und weiß, zwei Austausch- und Wandlungsprozesse:

  1. Umwandlung von Licht in organische und anorganische Stoffe
  2. Umwandlung von organischen und anorganischen Stoffen in Energie

Bei beiden Vorgänge wird der Lebensprozess fortgesetzt, und zwar geschieht dies ursprünglich und kreisläufig reguliert durch die Einheit resp. die Lebewesen selbst. Den Umsatz von Licht praktizieren Pflanzen, Algen, gewisse Bakterien. Die Umwandlung von Materie vollziehen Pilze, Tiere und Menschen. Unsere Argumentation, dass beide somatogenen Prozesse existenziell notwendig und kreisläufig aufgebaut sind, spiegelt sich in aktuellen Darstellungen der biologischen, chemischen und physiologischen Fachdisziplinen.

Mit Sorgfalt sage ich: jede lebendige Einheit „muss und kann“ die mit Risiken verknüpfte Unbestimmtheit ihres Existenzbereiches bestimmen. Letzteres, also dass ein Lebewesen Unbestimmtheiten bestimmen vermag/kann, führt einen „bewussten“ Grund an, für die Chance der Einheit im Fokus zu überleben. Ich hebe absichtlich von jeder konkreten oder besonderen Lebensform ab und beziehe mich allgemein auf die Fähigkeit und Möglichkeit zu überleben.

Solange eine Einheit lebt, erweist sie durch ihr „So-Sein“ oder ihren aktuellen Zustand beides: sie hat bisher die Unwägbarkeiten eines kontinuierlichen Austausches mit veränderlichen Größen ihrer Umgebung und die Unsicherheiten einer wiederholten Begegnung mit anderen Lebewesen in ihrem Lebensumkreis immer wieder wirksam bestimmt. Sie hat überleben vermocht, sie lebt gekonnt.

Leibnitz hat diesen Teil unserer Argumentation als hinreichenden Grund bezeichnet, warum etwas so ist, wie wir (Beobachter) und wir (Lebewesen) es erfahren und nicht anders. Die Fähigkeit und Möglichkeit einer Einheit, die prinzipiell gegebenen Risiken ihrer Existenzbereiches zu meistern, indem sie unbestimmte Gelegenheiten und Begegnungen angemessen bestimmt, also im Blick auf ihre strukturellen Bedingtheiten adäquat unterscheidet, liefern uns den hinreichenden Grund, warum sie immer weiter lebt und bis auf weiteres überlebt.

Aufgrund dieser Argumentation sprechen wir (Beobachter) Lebewesen nicht nur unterscheidendes „erleben“ zu, sondern zögern nicht von „fokussierter Aufmerksamkeit“ zu sprechen. Wären wir (Lebewesen) weder fähig noch in der Lage, wiederholt wirksam zu „unterscheiden“, wie wir überleben können, würden wir nicht nur (aus)sterben, wir würden in fataler Weise zum Opfer von Umständen werden, ohne zu erfassen, wie uns geschieht. Das Niveau an mangelnder Achtsamkeit zeigt unseres Wissens kein lebendiges System unter regulären Bedingungen.

In einem strikt gekoppelten Kreislauf treffen motorisch „bewegte“ und sensorisch „bemerkte“ Unterschiede aufeinander, z.B. über Nervenbahnen bei Menschen/Tieren, Flüssigkeitsbahnen bei Pflanzen, Rohrschachtleitungen bei Insekten. Unterschiede, die eine Einheit im Fokus „erzeugt“, „verarbeitet“ und „ansammelt“, beeinflussen und orientieren praktisch gesehen jeden operativen Ablauf, wobei dessen jeweilige Bandbreite ermöglicht und begrenzt wird durch die physisch-organische Ausstattung der Art. In zeitlicher Hinsicht können sowohl einzelne als auch eine Abfolge bedeutsamer Unterschiede eine Unterscheidung darstellen, indem bewegte und bemerkte Veränderungen einander gegen- und wechselseitig beeinflussen, bedingen, verstärken und dämpfen. Bei lebendigen Prozesse spielen Zeitpunkt und Dauer der Einflussnahme eine besondere Rolle.

Im Blick auf die von jeder Einheit konstituierte Grenze erzeugt jede Lebensform eine zumindest physisch und organisch relevante Unterscheidung oder „Distinktion“ im Auge von uns (Betrachtern): eine uns verborgene Binnenseite und eine offen einsehbare Außenseite. Für die Einheit selbst handelt es sich vermutlich um einen weniger markanten, wenn überhaupt besonders oder eigens bemerkten Übergang und Unterschied.

Die Einheit operiert wirksam, indem sie somatogene Prozesse relativ zum umweltlichen Rahmen vollzieht: sie bewegt und bemerkt Übergänge oder/und Zustände am eigenen „Organismus“. Die „Membran“ bildet die Bedingung der Möglichkeit zu überleben. Das bedeutet, die Einheit vermag sich prinzipiell gegenüber einer Umgebung und „bedrohlichen“ Zwischenfällen als Einheit zu behaupten. Sie interagiert gleichzeitig mit selegierten Aspekten der Umgebung, vermag den Vorgang selbst zu variieren und die dabei etablierte Wechselwirkung auf eine bestimmte Weise zu retentieren, z.B. sie bis auf weiteres als „Muster“ einzulagern und angelegentlich zu wiederholen. Je nach Notwendigkeit und Möglichkeit, verwirklicht sie Anpassung mal als Assimilation und mal als Akkoomodation. Wie essenziell die Membran für die Lebensfähigkeit ist, zeigen kritische und katastrophale Verläufe, in den Fällen wenn sie teilweise beschädigt oder zerstört wird.

Insoweit und indem eine lebendige Einheit wiederholt interagiert, behauptet sie sich als autosomatische Einheit und bindet sich – eigenbestimmt in die Umgebung ein, sie integriert sich als strukturbestimmtes Teil einer umfassenderen Einheit.

Wir (Lebewesen: Mikroben, Bakterien, Pflanzen, Pilze, Tiere, Menschen …) können uns nicht allein wirksam behaupten und integrieren, wir müssen es auch.

Der Autor spricht den Lebensformen das strukturelle Primat gegenüber einem erforderlichen Lebensbereich zu, statt die Umwelt und die Fortpflanzung als ursächliches Moment der Selektion zu begreifen. Oder anders ausgedrückt, die Evolutionstheorie wie sie der Neodarwinismus postuliert, stellt einen unbewiesenen und unbeweisbaren Erklärungsversuch dar. Das Theorem geht von einer irrigen, mechanisch geprägten Annahme aus, die durchaus zu den lückenhaften Belegen der Paläontologie und ersten vorläufigen Erkenntnissen der Molekularbiologie zu passen scheint. Doch das Prinzip der Erklärung ist weder geklärt noch klar 1, ganz zu schweigen von Nachweisen. Nach wie vor bleibt das Theorem und seine Veretreter/+innen den schlussendlichen Beweis schuldig.

Aussichtsreicher für ein umfassenderes Verständnis der Dynamik des Lebens erscheint eine epigenetische Sichtweise kombiniert mit einer dezentral-kreiskausal gelagerten Rekonstruktion lebendiger Prozesse.

Ein Organismus operiert eigensicher wirksam im Rahmen einer organisierten Anarchie von einzelnen miteinander verknüpften und gegenseitig aufeinander angewiesenen Teilen, indem die Einheit mit einem für sie bedeutsamen Lebensbereich autosomatisch interagiert, sich behauptet und sich einfügt. In diesem dichotom gelagerten Vorgang bringt sie bis auf weiteres Leben hervor.

Das Thema dieses Versuchs lautet: wie ist eine Modellierung lebendiger Vorgänge zu gestalten, damit sie beobachtbare Verlaufsformen angemessen beschreibt und tatsächliche Entwicklungen adäquat voraussagt?

Wie beschreiben wir lebendige Vorgänge angemessen?

Bei dieser Frage versuchen die meisten Menschen sofort eine Beschreibung zu geben. Was ich aber vorab klären möchte, betrifft den Sachverhalt, dass wir (Menschen), was immer wir erleben, erfahren und wissen, mit etwas anderem darauf verweisen. Manchmal – und so haben wir alle sprechen gelernt -, zeigen Menschen einfach auf etwas und sagen ein Wort: „Baum“ oder „Birke“.

Es geht mir zunächst um die Frage, wie wir „Wirklichkeit“ erfassen, wie wir „Wissen“ erfahren und wie wir uns über „Tatsachen“ austauschen oder verständigen. Wir benutzen Zeichen und verweisen auf den gemeinten Sachverhalt.

Über „Verweise“ können wir zwar einen Sache, einen Vorgang, die Besonderheiten eines Lebewesens oder einer Art „bezeichnen“ und „beschreiben“. Wir erzählen anderen, was wir erlebt haben, wie wir vorgegangen sind und was anschlüssig geschehen ist. Ob wir eine Sache, einen Vorgang, ein Lebewesen, irgend eine Beliebigkeit beschreiben, wir nutzen Worte oder Zahlen oder Zeichen. Jedoch, wie sehr wir uns auch bemühen, selbst wenn wir die Zeichen eindeutig bestimmen und genau einer Sache, einem Vorgang oder was wir sonst beobachten und erleben können zuweisen, immer greifen wir mittelbar und vermittelt auf ein Stück Wirklichkeit zu.

Die Wirklichkeit selbst entzieht sich einem unmittelbaren Zugriff. Oder das Wort ist nicht die Sache genauso wenig kann die Karte das Gebiet sein (A. Korzybski). In praktischer Hinsicht verwirklichen wir existenzielle Notwendigkeiten im Rahmen unserer perspektivisch und faktisch eingeschränkten Möglichkeiten. So und insoweit erzeugen wir Wirklichkeit.

Im Alltag benutzen wir Worte, um einander mehr oder weniger ereignisreiche und spannende, tragische, erfreuliche Episoden mit zu teilen. In den Wissenschaften hat man das Manko von Worten und Geschichten seit längerem erkannt. Aussagen sind problematisch, es sei denn sie postulieren einen nachprüfbaren Vorgang und/oder messbares Ergebnis. Am besten natürlich gleich beides, wie z.B. eine mathematische Gleichung: 6+7=14. Jedes Schulkind kann die Aussage prüfen und feststellen: was da behauptet wird, ist falsch.

Kniffliger wird die Angelegenheit, wenn wir einen relationalen oder sogar funktionalen Zusammenhang postulieren. Unproblematisch erscheint zunächst die Zuordnung. Ohne Schwierigkeit ordnen wir dem Phänomen A (Bezeichnung „Baum“) eine Menge von Phänomenen B (Exemplar Birke), C (Exemplar Weiß-Buche) D (Exemplar Rot-Buche), E (Exemplar Eiche) zu.

Das einfache Beispiel verdeutlicht Klassenbildung durch einen Begriff. Aber Vorsicht, der Name ist nicht identisch mit der Menge an zugeordneten Individuen oder einzelnen Elementen. „Baum“ bezeichnet lediglich die Klasse an Phänomenen, ist eindeutig der Name der Klasse, nicht zu verwechseln mit den Inhalten. Oder um den Sachverhalt mit einem Vergleich von Zung tse zu illustrieren: Worte sind wie Reusen, wenn man den Fisch gefangen hat, wer kümmert sich dann um die Reuse.

Würden wir „Baum“ ebenfalls in die Klasse zuordnen, würden unsere Rechenmaschinen durchdrehen und die moderne Logik würde in endlosen Schleifen widersprüchlich kreisen. Das aber hat der liberale Gentleman Bertrand Russel wohl weislich verboten und für Ordnung gesorgt1. Widersprüchlichkeiten gehören zwar erfahrungsgemäß zum Leben, genießen aber in den Wissenschaften und Aussagenlogik schon seit der Antike einen denkbar schlechten Leumund.

Nun stellt Bewusst-Sein kein ausschließlich menschliches Merkmal dar. Mit Stafford Beers schreibe ich jeder Lebensform prinzipiell „Bewusst-Sein“ zu, z.B.:

  • Pflanzen, die sich nach dem Licht ausrichten,
  • Tiere, die angreifen, fliehen oder sich auf andere Weise koordiniert verhalten,
  • Menschen, die entschieden handeln und erleben.

Jede natürliche Einheit bewegt und bemerkt, was sie bewirkt, und zwar eigenständig von sich aus als auch an und für sich. Abgesehen davon, wie beschränkt und bedingt auch immer die konkrete Bewegung ausfallen mag, der Vorgang selbst erfolgt aufgrund eigenständiger „Antriebe“ oder eigenbestimmter „Anliegen“. Mit anderen Worten die strukturelle Bauweise bedingt die prozeduralen Abläufe eines durch die Einheit selbst abgestimmten Vollzugs. In diesem Verständnis spreche ich von originärem „Beweggrund“ oder Motiv. Jede lebendige Einheit muss auch in der Lage sein, existenziell bedeutsame Vorgänge zu vollziehen, zu regulieren und zu berichtigen. Es handelt sich nicht um eine Erklärung. Ich beschreibe auch hier lediglich eine existenziell bedingte Notwendigkeit, die die jeweilige Art im Rahmen ihrer Möglichkeit verwirklicht. Es liegt auf der Hand, dass das Optimum jenseits des Erreichbaren lagert.

In dieser Hinsicht erzeugt die kreisläufig aufgebaute Unterscheidung von bewegen, bewirken, bemerken den Strom an Erlebnissen, den eine Einheit vorgängig in den sensorisch-motorischen Brennpunkt rückt und durchlebt. „Bewusst-Sein“ an und für sich begründet und erfüllt also nicht mehr und nicht weniger als die Voraussetzung der Möglichkeit und Notwendigkeit, eigenständig zu leben.

Die enge Kopplung von „Bewegung“ und „Wahrnehmung“ ist praktisch mit jeder Lebensform vorgegeben oder wird durch sie und ihre Vertreter umgesetzt, wenn auch auf verschiedene Weise realisiert. Gleichzeitig – und dies stellt einfach ein existenzielles Erfordernis und ein Faktum dar – ist jede Erscheinungsform des Lebens, ein beobachtbares „System“ von wechselwirkenden Teilen, das sich durch eine teilweise offene/geschlossene Schicht abschließt und gleichzeitig gegenüber der Umgebung abgrenzt. Das kann z.B. unsere Haut sein, die Membran einer Zeile, das Fell eines Tieres, die Rinde einer Staude oder eines Baumes.

Mit Blick auf die durch eine „Haut-Schicht“ konstituierte Binnenseite behaupten wir „Beobachter“ des lebendigen Systems im Fokus – sei es nun eine Amöbe, ein Pilzgeflecht, eine Birke, eine Qualle, ein Frosch, Delphin, Affe, Mensch – die Organismen seien geschlossene und zugleich offene Systeme.

Das Besondere an der „Haut“ ist, dass sie ein Teil des ganzen Organismus darstellt, ein Organ, das wie kein anderes, den gesamten Organismus umfasst. Was ist die Funktion der „Haut“? Sie schützt andere Teile vor einem unmittelbaren Kontakt mit der Umgebung und stellt in soweit eine definitive Grenze in zwei Richtungen dar.

Doch die weit wichtigere Leistung besteht in der Abgrenzung System/Umwelt selbst. Zunächst finden wir keine Lebensform ohne diesen strukturbedingt verschieden ausgeformten Abschluss. Das Faktum bildet eine alternativlose Bedingung lebendiger Systeme. Ohne verlässlichen und angemessenen Abschluss keine Existenz und kein Austausch. Nicht nur ermöglicht die Grenze Einschluss oder Ausschluss, sondern sie gewährleistet jeder Einheit die Interaktion im Binnenraum als auch die Interaktion zwischen Einheit und Umgebungsvariablen zu formieren. Die Abgrenzung mit einer durchlässigen Schicht erfordert eigenständige Vorgänge geordneter Anarchie an der Binnenseite jeden Organismus. Gleichzeitig filtert die Grenze aus, was „bedrohlich“ oder schlicht nicht einbaufähig und zuträglich wäre.

Auf diese Weise – abgeschlossen und durchlässig – erzeugen Lebewesen fortgesetzt eigene Bewegungen und Wahrnehmungen, präziser einen fortgesetzten Strom nahtlos aneinander geknüpfter, von einander abhängiger, eigenwertiger Unterscheidungen aufgrund originärer Wahrnehmungen-Bewegungen-Veränderungen.

Dadurch dass sich jedes Lebewesen aufgrund aktueller und potenzieller Bewegungs-Wahrnehmungspannen „verortet“, bestimmt es seine „Innerlichkeit“ (A. Portmann). Abhängig von den „Vermöglichkeiten“ der sinnlich-beweglichen Ausstattung sind lebendige Systeme verschieden fähig sich selbst zu „positionieren“, z.B. können Pflanzen ihre Lage beeinflussen und Tiere auch ihren Standort wechseln, und zwar aufgrund motorisch und sensorisch erzeugter „Meldungen“ über Veränderung – eigener wie umgebender – und daran knüpft die Einheit im Fokus ihre Übergänge.

Lebendige Formen selegieren von sich aus, was von der Umgebung überhaupt und in welcher Weise mehr als zufällig bedeutsam ist. Mit diesem Ansatz erst lassen sich die komplexen Varianzen zweier Tierarten in einem Gebiet, z.B. Mäusebussarde und Feldmäuse begreifen. Da jede für sich – strukturell bedingt – die „relevanten“ Einflussgrößen, z. B. eine spezifische Palette an Futteroptionen und erforderliche Bandbreiten bestimmt, bilden „subjektive“ oder genauer „strukturbedingte“ Bestimmungsgrößen die primäre Grundlage für einen Austausch oder ein Wechselspiel von Einheit und Umwelt. In ihrer Relativität und faktischen Rückbindung auf die Lebensprozesse, was ich „einbinden und verknüpfen“ nenne, vollzieht die Einheit im Fokus gerichtete Operationen.

Eigenwertige Regulierung

Allein die Unter- und Überschreitungen eigenwertiger Bandbreiten muss erst jene „kritischen Schwellwert“ der „binnenseitig“ erlebten/erzeugten Auswirkungen gewinnen, dass wir eine Veränderung an der „Umweltseite“ als Bewegung oder Reaktion beobachten vermögen. Doch allein, wenn wir (Beobachter von Organismen einschließlich unserer eigenen Art) die Komplexität organischer Wechselwirkungsprozesse auf einfache, geradlinig fortlaufende Eingabe-Ausgabe-Mechanismen analog der Bewegung von unbelebten Körpern reduzieren, beschneiden wir das Ganze um einen gewichtigen Teil.

Mit anderen Worten mit einer mechanistisch-maschinenartigen Modellierung laufen wir in einen artifiziellen Fehlschluss. Versäumen oder verzichten wir in unserer Rekonstruktion darauf, der lebendigen Einheit einen binnenseitig generierte Zuständlich- und/oder Befindlichkeit zu zugestehen, – und zwar aufgrund originärer Erfahrung qua Wahrnehmung und Bewegung -, halbiert unser Modell die erreichbare Erkenntnis. Das Modell vermindert unsere Fähigkeit, die organischen Prozesse zu begreifen, weil diese tatsächlich rekursiv verlaufen, solange die Einheit lebt. Das Prozesshafte erfasst unser Eingabe-Ausgabe-Modell jedoch nicht adäquat.

Um den Lebens-Prozess in allgemeiner Form angemessen erfassen zu können, betrachte ich es für angezeigt, dass wir annehmen, jede Lebensform erzeuge aufgrund ihrer eigenbewirkten Vorgänge zumindest einen eigenwertigen „Innen-Zustand“ oder präziser einen lebensgeschichtlichen „Eigen-Zustand“. In zeitlicher Hinsicht verändert sich oder genauer verändert die Einheit ihren „Eigen-Zustand“ relativ zu den laufend gemachten „Erfahrungen“, i.e. Interaktionen einer Einheit mit sich selbst und ihrer Umgebung.

So besteht wohl kein Zweifel, dass ein Lebewesen mit Lungen anders atmet, als Lebewesen mit Kiemen. Dieser „Eigen-Prozess“ erfolgt regelmäßig und wird in jedem einzelnen Fall „unwillkürlich“ vollzogen. Das individuell beobachtete Lebewesen, die Einheit im Fokus atmet aus und atmet ein. Betrachten wir den mit ein-und ausatmen erzeugten „Eigen-Zustand“ genauer.

Uns fällt auf und wir bemerken, dass es sich um eine sensu-motorisch bewirkte Veränderungen der Einheit handelt. Dass die Umgebung mit „Luft“ für diesen Prozess erforderlich ist, also eine logisch betrachtet „notwendige Voraussetzung“ bildet, „damit“ Lebewesen mit Lungen „überleben können“ liefert uns allerdings ein Erfordernis, stellt keinesfalls jedoch die Ursache für den Vorgang dar. Den Kreislauf vollzieht die Einheit aufgrund vergangener oder augenblicklich vollzogener Wahrnehmungen und Bewegungen.

Nähern wir uns dem Prozess weiter an. Der menschliche Foetus atmet in den knapp neun Monaten der intrauterinen Genese nicht über seine Lungen, obwohl diese ab einer bestimmten Phase der Entwicklung voll ausgebildet sind. Das ist erstaunlich, wie manch andere Wendung der Embryogenese. Analoges gilt für andere Lebewesen, selbst dann, wenn die Entwicklung in Eiern stattfindet. In beiden Fällen erfolgt die Atmung in der embryonalen Phase nicht über die Lungen, wenngleich die Foeten diese ausbilden.

Soweit wir die Situation bei Menschen sehen, sind deren Lungen mit einer durch die Lungen selbst hergestellten Flüssigkeit angefüllt, die sich zur Geburt hin weitgehend abbaut. Die Embryogenese bereitet also alles vor, atmen muss das Kind von alleine. Erfahrungsgemäß beginnen nicht alle Foeten von allein zu atmen, wenn sie die Gebärmutter verlassen haben. Wir vermuten, dass zunächst genügend Luft um die Nase streichen muss und diese nicht von Schleim bedeckt sein darf. Manche Babies husten dann beim ersten Atemzug, den Rest der Lungenflüssigkeit heraus.

Kontrastieren wir unsere Beobachtung mit einem spezielleren Fall: Wale und Delfine atmen „willkürlich“ und sie leben im Wasser. Die embryonale Entwicklung läuft analog zum Verlauf beim Menschen. Ich kann allerdings nicht sagen, ob Delfin- und Walföten Flüssigkeit in ihren noch ungenutzen aber voll funktionsfähigen Lungen ansammeln. Klar ist, dass die Geburt unter Wasser stattfindet. Das ist wieder erstaunlich. Denn Wale und Delfine sind, wie jedes Schulkind lernt, keine Fische, haben keine Kiemen, sondern müssen an die Luft, um atmen zu können. Fragen wir uns wie die Föten „wissen“ können, wann sie ihr „Blasloch“ oder bei Potwalen ihre beiden Blaslöcher öffnen können, liegt die Einsicht nahe, dass die Neugeborenen bereits unterscheiden können und müssen, wann genügend Luft um das Blasloch streicht, um den initialen Ausstoß zu wagen.

Was ich mit diesem kleinen Ausflug strapazieren möchte, dient einmal mehr der These, dass Lebewesen „autosomatisch“ operieren, sie leben von sich und unterscheiden eigenständig – sei es auf der Basis elektrochemischer oder sensu-motorisch erzeugter Unterscheidungen, was sie angelegentlich verwirklichen: atmen oder nicht atmen. Dieser Sachverhalt illustriert an dieser hochbrisanten Stelle wie kaum ein anderer, dass ein somatogenetischer Vorgang erstmalig umgesetzt, initial erfahren wird, und zwar ohne dass bereits eine praktische Historie vorausgeht.

Für einen Maschinisten ist die Sache klar: hier braucht es eine Starthilfe. Physiologen alter Schule nehmen Babies auch schon mal an den Füßen hoch und klopfen ihnen den Po, damit die „Maschinerie“ in Gang kommt. Er oder sie gleicht dem Maschinisten oder Automobilisten, der an die Zündspule klopft, weil der Magnetschalter hängt.

Für ein lebendiges Geschöpf handelt es sich bei diesem Übergang um eine Groß-Krise oder „Major Krisis“. Die Lage spitzt sich zu und dem Organismus droht der Kollaps. Beginnen neugeborene Lebewesen den Atemluftkreislauf – der bei Menschen nach dem initialen Beginn fortan „unwillkürlich“ fort- und fort- und fortgesetzt wird – nicht spontan und „eigenwillig“, endet das Leben mit der Geburt.

Mehrschichtig abgewogene und ausgeglichene Ungleichgewichtsprozesse veranlassen oder unterlassen eine Anpassung und nicht ein von seiten der Umwelt einseitig diktierter „Druck“ verursacht die Wirkungen, sei es nun Anpassung oder Selektion. Druck, Kraft und Energie mag für eine triviale Maschine oder die Bewegung von Planetenmassen um ein Zentralgestirn einen gewissen Erklärungswert im Sinne der klassischen Kinematik nach Newtons 3. Satz haben.

Um mein Anliegen klar und deutlich zu fassen: Ich will ja überhaupt nicht bestreiten, dass Lebewesen nun auch physische Körper seien und daher der „Entropie“ unterliegen. Was ich kritisiere, ist eine Ausweitung des Prinzips der Kausalität auf lebendige Systeme ohne der Komplexität des Gegenstands auch nur annähernd gerecht werden zu können. Das Prinzip hat seine volle Berechtigung bei jeder initial fremdwertigen Bewegungen von Massekörpern, sei es durch Wärmezufuhr oder Beschleunigung. Das „Naturgesetz“ gilt fraglos immer wieder und bis auf weiteres, was zahllose Physiker/+innen, Architekt/+innen und Techniker/+innen unter Beweis gestellt haben, indem sie Maschinen, Brücken, Häuser, Geräte und Vorrichtungen gebaut haben.

Möchte ich berechnen wieviel Energie/Kraft erforderlich ist, um einen 70 kg schweren Felsbroken oder alternativ einen gleichschweren toten/lebendigen Menschen von Ort A nach B zu befördern, liefert der Satz oder das 3. Kinematische Gesetz eine bewusste Grundlage, z.B. für die Planung von Mitteln. Allein jedoch, weil lebendige Systeme eine Masse oder ein Gewicht aufweisen, kann man mit dem Prinzip nicht gleich schon jede Form der Bewegung, organische Vorgänge, beseelte Prozesse, begründete Handlungen oder bedingte Erlebnisabfolgen damit erklären.

Doch genau das wird praktiziert, ganz so als ob es nicht auch offenbare Unterschiede gäbe oder erkenntnistheoretisch versierte Philosophen den logischen Irrtum der Übertragung schon seit einigen Jahrzehnten klar und deutlich identifiziert hätten. Letzteres mag man dem „Tunnelblick“ der Disziplinen oder der Ignoranz der heutigen Wissenschaftler/+innen anlasten, weniger stichhaltig ist die – u.a. von Nicolai Hartmann – vorgebrachte Argumentation deshalb nicht.

Die unreflektierte Übertragung des Kausalitäts-Prinzips führt in die Irre. Insgesamt leistet die Physik wenig Erhellung beim Verständnis organischer Vorgänge, wie z.B. Zellen entstehen, sich teilen und vermehren oder wie Embryonen sich entwickeln. Noch weniger Transfer finden wir beim „animalischen“ oder „befindlichen“ Verhalten einer lebendigen Einheit, die sich aufgrund von Zustandsübergängen eigenmotiviert bewegt und wahrnimmt.

Aufgrund von autonomen Lebensvorgängen richten sich Lebensformen selbst aus und bewegen sich – zusätzlich zu der Tatsache, dass sie Massekörper sind und im Unterschied zu nicht-lebendigen physischen Einheiten – entlang einer binnenseitig generierten „Bemessung“. Vor dem Hintergrund und aufgrund einer wie auch immer umfänglichen „Zuständlich-/Befindlichkeit“, fällt die „Reaktion“ nicht allein entsprechend der Einflussstärke oder gemäß beobachteter Impulsstärken aus.

Vertreter/+innen der modernen und allgemeinen Systemtheorie aus unterschiedlichen Fach- und Sachgebieten stellen häufig fest, dass die Auswirkung mit der Qualität des Einflusses variiert. Diese kann zum Beispiel mit der Zahl der Verbindungen mehr oder weniger starke Variationen der Interaktionen bedingen.

Nicht allein hat die Dauer nachhaltigen Einfluss auf lebendige Vorgänge, sondern auch der Zeitpunkt, wann sich ein Vorfall ereignet oder ein Ereignis eintritt, macht einen Unterschied, den eine lebendige Einheit erfasst, verarbeitet und ihre Vorgänge angleicht, variiert und ggf. abbricht oder aussetzt.

Ebenso belangreich kann sein, muss aber nicht immer und zwangsläufig zu systematischen Variationen führen, an welchen Orten ein Lebewesen sich gerade aufhält. Bei Menschen etwa bleibt überdurchschnittlich häufig die Eizellenbildung aus, wenn geschlechtsreife Frauen Freiheitsentzug erfahren.

Wie häufig oder oft eine lebendige Einheit ein bestimmtes Ereignis und seine Wiederholung erlebt, kann ebenso im Verlauf zu Variationen im Erleben führen und die „Wahrnehmung“ oder „Reaktion“ signifikant modifizieren usw..

Der vielleicht mit Abstand wesentliche Aspekt liegt jedoch in dem Sachverhalt begründet, den wir als Relevanzstrukturen bezeichnen. So spielen Abfolgen sicherlich eine Rolle, wobei die Ordnung der Dinge einen Unterschied darstellen mag, der zunächst für die beobachteten Aktivitäten einer Einheit gleichwertig zu sein scheint.

Vor diesem Hintergrund stellt die erhöhte, gleiche, verminderte Zahl der Nachkommen in einem Wurf im Vergleich zu vorausliegendenn Geburtenzahl keine in gerader Linie erreichte Anpassungsleistung dar, zumal es sich erstaunlicherweise um extrem zeitnahe und teilweise synchrone Effekte handeln kann.

Genau mit diesen untereinander mitunter mehrfach verflochtenen, weder zufällig noch ausschließlich bestimmten, veränderlichen Größen und konstanten Größen oder kurz Variablen, tritt die Lebensform insgesamt und treten die individuellen Vertreter dieser Art immer wieder und bis auf weiteres in Beziehung und Austausch kurz Interaktion. Sie wechselwirken und erzeugen eine Art Tanz, den wir als leben identifizieren.

Durch diese zyklischen und rekursiven Vorgänge bindet sich die Art in spezifizierter Weise an durch sie selbst bestimmte Determinanten, indem sie (und nicht die Umwelt) vermöge ihres „So-Seins“ deren Varianzen durch wechselnde Bezüge mit sich verknüpft, intergriert sich dadurch in den umschließenden „Kosmos des Lebens“ und behauptet sich zugleich als eigener lebendiger Zusammenhalt, der als Organismus oder Gruppe von Organismen einzelne Teile zu einem Ganzen integriert.

Wie wir (Lebewesen) unser Milieu selbst bestimmen

So sie nicht bereits angeboren sind, entstehen „codierter Muster der Erfahrung“ durch praktischen Vollzug und Wiederholung einer Operationsweise. Ich bezeichne sie als „eigen“ oder „eigenwertige“ Strukturierungs- oder Ordnungsdeterminanten im Bezug auf die Umgebung der jeweiligen organismischen Form in Bewegung.

Jede Lebensform steckt nun aufgrund ihrer Operationsweisen im Wechselspiel mit gewissen Umgebungsgrößen einen Bereich ab. Für Barsche, Lachse, Forellen, … sind beispielsweise wässrige Umgebungen wie Seen, Flüsse und Meere erforderlich, während Elefanten, Löwen, Antilopen, … savannige Steppen benötigen. Für Fische sind letztere Umgebungen belanglos.

Pilze keimen, wachsen, reifen, sprossen und vergehen von allein genau wie andere Lebewesen. Auch Pflanzen keimen, wachsen, reifen, leben. Dafür allerdings, dass sie sich vermehren, sich fortpflanzen und nicht sprossen, sind sie „sterblich“ . Da weder Vögel, noch Fische noch auch Menschen sprossen und Sporen bilden, sterben sie. Dafür müssen sie alle selbständig atmen.

Jede Formvariante des Lebens bestimmt die Anforderungen an ihren besonderen Lebensraum von sich aus. Was sie an und um sich herum bewegt, bewegen muss und bewegen kann, betrifft und erfordert stets gewisse Aspekte der Umgebung, aber eben nicht alle. Jede Lebensform baut eine Wechselbeziehung mit genau den Aspekten ihrer Umgebung auf, die sie aufgrund struktureller Vorgaben als für sich bedeutsame Sachverhalte erfasst (Evelyn Hutchinson).

Die Passage „für sich bedeutsame Sachverhalte“ erklärt wenig, sie beschreibt lediglich ein beobachtbares, also empirisches Faktum. Mit dem Hinweis unterstreiche ich, dass Wahrnehmungen einen binnenseitiger und verdeckten Vorgang betreffen. Analoges gilt für Eindrücke, Erlebnisse, Empfindungen, Binnen-Zustände, Übergänge … Sichtbar dagegen erweisen sich Bewegungen, Ausdruck, Emotionen, … . Das führt zu Konsequenzen.

Wir (Beobachter) beobachten Lebewesen, untersuchen z.B. ihr Verhalten. Dann

Wir nehmen an und setzen voraus, dass die individuellen Vertreter einer Lebensart

  • nicht alles um sich herum zugleich wahrnehmen (physiologische Einschränkung z.B. Frequenzbereich, Signaltempo, …),
  • was sie erfassen können, für sie nicht gleich wichtig, bedrohlich und förderlich sein dürfte (kapazitative Einschränkung) für sie gewissen

Der Zusammenhang, den wir leben nennen, zeigt zyklische und kreiskausale Flussformen, die durch rückgekoppelte und vorgekoppelte Meldeschleifen (Feedback- und Feedforward) reguliert, verstärkt und gedämpft werden.

Dieser durch die Lebensform definierte Existenzbereich unterscheidet sich von der Umwelt als umfassender und unbestimmter Umraum aller Lebewesen. Aufgrund der je nach Lebensform unterschiedlich gestalteten strukturellen Bestimmung, schlage ich mit Claus Leggewie vor, wir bezeichnen den Existenzbereich genauer als „faktische Umwelt“. Die Umwelt, die Menschen benötigen und ermöglichen, unterscheidet sich faktisch aufgrund ihrer generischen Bestimmung mehr oder weniger deutlich und klar von der Umwelt von Schimpansen. Und deren Umwelt zeigt andere Eigenschaften auf als das von Bono-Bonos oder Gorillas operativ „erzeugte“ Milieu.

Leben oder rekursives Operieren von Organismen

Bei all der Vielfalt an faktischen Umwelten, die sich ökologisch betrachtet in einander schieben, neben einander liegen, einander überlappen oder streng voneinander absetzen, dabei untereinander mehr oder weniger stark abhängen, operieren die Lebewesen in ihren jeweiligen Milieus wirksam: sie leben eigenständig und entfalten die dazu erforderlichen oder möglichen Vorgänge, wie keimen, sprossen, fressen, bewegen, … schrittweise von allein. Zusammen genommen: die natürlich-vitalen Vorgänge vollziehen Lebewesen im Wechselspiel mit bestimmten durch ihre Operationsweise genauer definierten Variablen der umfassenden Umwelten, und erzeugen autonom ihr Milieu.

Mit anderen Worten „leben“ bezeichnet einen rekursiven Vorgang selbst- oder eigentätiger Umsetzung. Eine Lebensform ensteht in einem generischen Vorgang. Unter Bezug auf den zuletzt vollzogenen Entwicklungsschritt geht die strukturelle Gestalt jetzt über in den anschlüssig vollzogene Entwicklungsschritt. Gleichzeitig bedingt das „So-Sein“, – also die besondere strukturelle Anlage und Ausstattung der Art und ihrer individuellen Vertreter – einen originären Lebensbereich oder ein „Milieu“. Das eigenwertig definierte Milieu beschränkt und ermöglicht die weiteren Operationen – eigene wie andere – und die Bandbreite ihrer Varietät.

Zwischen Lebewesen und Milieu wirkt eine doppelt bedingte Abhängigkeit. Wir sprechen also nicht allein von lebensweltlichen Sachverhalten, sondern sowohl von erlebnis- als auch wirkweltlichen Bedingtheiten von lebendigen Vorgängen mit Blick auf eine interaktive Synthese der Konstituenten (Strukturen) und Statusübergänge (Prozesse). Was meine ich mit Abhängigkeit? Mit „Abhängigkeit“ bezeichne ich ein originär gestiftetes Verhältnis in Form von einem beliebigen Lebewesen und einer Ansammlung von Individuen seiner Art, die miteinander umgehen und sich paaren (Bevölkerung). Die Lebensform stiftet mit und durch ihr Auftreten an einem bestimmten Ort ein Geflecht an Bezügen z.B. aufgrund ihrer Bauweise, angelegten Bedarfen, strukturellen Ausformungen, aktuell verfügbaren und potenziell erlernbaren Fähigkeit Einfluss zu nehmen und Einflüsse auszugleichen.

Die Abhängigkeit nenne ich „funktional“ mit Blick auf das, was ein lebendiges System vollzieht, „existenziell“ im Blick auf anschlüssige und erforderliche Vorgänge der spezifischen Lebensform. bedingt durch strukturelle Vorgänge , also den entwickelten Vorgängen in einem relevanten Rahmen (Kontextualität).

Wie ist Menschen Selbst-Bewusst-Sein möglich?

Was sind wir (Menschen), dass wir dazu fähig sind oder Menschenwissenschaftler und Philosophen seit der Frühzeit zumindest nicht ausschließen, dass wir fähig sein könnten, uns selbst bewusst zu sein? Wie ist es möglich, dass wir uns selbst zum Thema oder Gegenstand machen können oder einfach gefragt, wie ist es möglich, dass wir mit uns selbst und der Welt um uns in ein Zwiegespräch treten können?

Auch alltägliche Vorgänge und menschliche Verrichtungen laufen wie von selbst. Instinkte und andere, „eingeborene“ Automatismen lenken, so scheint es, das Verhalten von Menschen in ihrem Existenzbereich. Doch der Anschein trügt. Was uns (Menschen) lenkt, ist ein durch zahlreiche Erlebnisse operativ ausgebildetes und interaktiv ausgeformtes Körper-Leib-Bewusstsein.

Da Menschen allerdings weder vereinzelt noch völlig kontaktlos auf Inseln leben, sondern zusammen mit und unter anderen Menschen in mehr oder weniger großen Gruppen oder Ansammlungen, ist die Umwelt von Menschen eine stets durch Menschen kontextualisierte, historisch gewachsene und gestaltete Mitwelt. Der Zusammenhang gilt auch für die „natürliche Natur“ dieser Erde und indirekt selbst für jene letzten, scheinbar von menschlichen Zugriff unberührten Areale. Im Unterschied zu der Zeit um 1500 n. Chr. finden wir auf Weltkarten heute kaum noch unbekannte Flecken, selbst der Meeresboden ist vermessen, verzeichnet und besessen.

Unter einer etwas verschobenen Perspektive haben Menschen, die „natürliche Natur“ Stück für Stück überformt und gebändigt, indem sie ihre Einfluss- und Wirkbereiche fortgesetzt ausgeweitet haben. Durch Werkzeuge und sonstige selbst hergestellte Sachverhalte wie z.B. Bauwerke, Maschinen und Vorrichtungen, kurz Architektur und Technik haben wir die Abhängigkeit im Verhältnis zur natürlichen Natur verringert. Gleichzeitig haben wir die Kontrolle erhöht und erweitert. Wir kontrollieren zuvor unbeherrschte und unbeherrschbar geltende Sachverhalte der physischen und organischen „Natur“. Mit der Kenntnis natürlicher Abläufe, z.B. Bewegung und Erwärmung sowie der Lebensvorgänge

Das „atomare“ Konzept des Individuums ohne Bezug und Beziehung zu seiner menschlichen Mitwelt leitet die Einsicht und Erkenntnis über Menschen ebenso in die Irre, wie die Maschinen-Methapher vom menschlichen Organismus oder Gehirn. Wer diese Konzeptionen auf Menschen bezieht und auf dieser Basis verstehen oder erklären will, was Menschen bemerken, bewegen und bewirken, reduziert die Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Menschlichen. Im Ergebnis vermindert der Einsatz dieser Modelle die Vielfalt an Wirklichkeiten von Menschen auf die triviale Wirklichkeit technischer und materialer Artefakte.

Weder funktioniert ein Computer wie unser Gehirn, noch unser Gehirn wie ein Computer. Ohne die Analogien ganz bestreiten zu wollen, bin ich überzeugt, wer diese einfache Erkenntnis verweigert, läuft Gefahr, Menschen auf einfache Eingabe-Ausgabe-Maschinen zu reduzieren. Was Menschen tatsächlich leisten und was sie vermögen, wird auf diesem Weg willentlich und unwillkürlich trivialisiert. Denn Maschinen müssen und sollen leisten, wofür Ingenieure und Techniker sie gebaut und wir sie gekauft haben: einfach funktionieren!

Menschen erfahren Wirklichkeit im Kontakt, Austausch und Dialog mit einer historisch durch Menschen gestalteten und mit Menschen gemeinsam geteilten Mitwelt. Die Erfahrung ist zugleich erforderlich und möglich aufgrund eines eigenständig belebten und schrittweise entwickelten Körper-Leib-Bewusstseins. Wir (Menschen) sind, haben und entfalten dieses Bewusstsein. Philosphen sprechen von einem Körper-Seele-Geist-Zusammenhang.

Oder alternativ formuliert, Lebewesen lassen sich u.b.M.n. dadurch kennzeichnen, dass ihre Motorik mit ihrer Sensorik strikt gekoppelt ist, wodurch sie fähig sind, autonom koordinierte und orientierte Bewegungen in durch ihre Prozeduren und Strukturen bedingten Potenzialräumen zu verwirklichen. Wären wir Computer oder würden wir wie Computer funktionieren, könnten Techniker, Ingenieure und Programmierer diesen Komplex einfach nach bauen. Die mäßigen und dürftigen Erfolge aber belegen, dass die Nachbildung eine nicht-triviale Angelegenheit darstellt.

Hat ein Kind einmal gelernt, auf seinen beiden Füßen zu stehen und zu gehen, hat es eine für Menschen typische Erfahrung gemeistert. Der Vorgang gehört nun zu den Selbstverständlichkeiten seines Daseins. Weil ein Kind gehen kann, verkörpert es alles, was es braucht, um nicht zu fallen. Immer wieder gleicht es aus, was sonst unweigerlich passieren würde, bis auf weiteres. Denn, wie gesagt, aufgerichtet auf zwei Beinen gehen, stellt weder eine einfache noch bereits mitgebrachte Fähigkeit von Menschen dar.

Dass es sich dabei um eine komplizierte Angelegenheit handelt, vergessen wir Bipedien leicht, sobald wir „gehen“ einmal beherrschen. Zuletzt hat uns die Robotik gezeigt und wieder daran erinnert, wie kompliziert die Abläufe sind. Einmal ganz zu schweigen davon, sie flüssig darbieten zu können.

Beobachten wir beispielsweise, wie ein Kleinkind sich aufrichtet. Zum ersten Mal steht es ohne Halt und Stütze frei. Kaum aufgerichtet, wird deutlich wie instabil die neue Haltung zunächst ausfällt: unser kleiner Proband sitzt auf seinem Po. Doch schon folgt die zweite Probe. Ihr folgen zahllose weitere. Der kleine Körper sucht unermüdlich sein Gleichgewicht im Fluss seines Erlebens. Schließlich findet das Kind seine Balance im Spannungsfeld zwischen Veränderlichkeit und Stabilisierung der Stellung. Doch kaum dreht unser Schützling den Kopf, fällt er wieder hin.

Deutlich wird, dass die Aneignung dieser zentralen Fähigkeit einen iterativen Prozess rekursiver Justierung und Kalibrierung eines fließgleichgewichtigen Übergangs darstellt. In zahllosen Versuchen und unterschiedlichen Situationen pendeln Kleinkinder ihre neue Mitte aus. Sie sammeln Erfahrung in tausend und einem Fall. Ihr unmittelbar mitgegebenes Medium der Erfahrung stellt ihr Körperleib dar. Mit diesem Medium ermitteln sie, was es braucht, um stabil stehen zu können und erproben ihr Vermögen.

Mit jeder erneuten Probe, versucht auch unsere Proband, die Mitte immer angemessener zu fassen als noch bei der vorigen Runde. Mal richten sie sich aus einer anderen Ausgangslage auf, mal befinden sie sich auf unebenem Grund, mal stehen sie im Zusammenspiel mit einer Drehung, …. mal gelingt mal misslingt das Vorhaben, bis es schließlich „sitzt“. Immer wieder ist unser Schützling jetzt fähig, das Gleichgewicht „eigenmächtig und selbstsicher“ ohne Handreichung oder Unterstützung herzustellen. Selbst unter verschiedenen Anforderungen erreicht das Kind jetzt mühelos einen „eigensicheren“ Stand. Im Verlauf dieses Lernvorgangs beobachten wir, wie das Kind immer weniger schwankt.

Gehen schließt praktisch nahtlos an. Stehen und gehen haben einiges gemeinsam, unterscheiden sich jedoch auch ganz grundsätzlich. Stellen wir uns hin, nehmen wir diese Stellung, diesen Platz an diesem Ort ein. Gehen wir, bewegen wir uns von diesem Platz hier zu jenem Platz dort. Oder weniger phänomenal ausgedrückt, stehen wir mit zwei Füßen unbewegt an einer Stelle, so schweben wir von einem Bein auf das andere wechselnd von einem Ort zum nächsten.

Wichtig ist für unsere Erörterung jedoch zunächst der Sachverhalt, dass wir (Menschen) uns diesen komplexen Bewegungsablauf eigenständig aneignen, autonom abstimmen und orientiert umsetzen. Der Umstand, dass wir bei der Umsetzung weder darauf achten, noch entscheiden müssen, wie wir stehen und gehen im Detail bewerkstelligen ohne dabei unser Gleichgewicht zu verlieren, ist alles andere als trivial, sobald wir die Abstimmung von Bewegung und Wahrnehmung genauer untersuchen, erklären oder eben technisch nachbilden wollen.

Inkorporierte Praktiken

Viele Menschen steigen morgens in ihren Wagen, starten den Anlasser und fahren los. Müssen sie dazu noch nachdenken oder überlegen? Vermutlich nicht. Sie erledigen, was es braucht: Handgriffe, Checks, Maßnahmen und Abläufe, ohne sich nochmal zu vergewissern. Die Bedienung erfolgt gewohnheitsmäßig. Was sie tun und lassen, wie sie sich verhalten, versteht sich längst von selbst, ist zur Gewohnheit und Routine geworden. Umgangssprachlich ausgedrückt, die erforderlichen Schritte sind in Fleisch und Blut übergegangen.

Verantwortlich für den reibungsarmen Vollzug – egal ob Menschen auf zwei Beinen gehen oder Geräte und Maschinen bedienen – sind weniger angeborene „Instinkte“. Viel häufiger lenken eingelebte Bereitschaften und angeeignete Fertigkeiten den Umgang mit Sachen und Vorgängen. Die nötigen und möglichen Prozesse vollziehen Menschen „eigensicher“. Was quasi wie effektive „Automatismen“ oder „instinktiv richtige“ Abstimmung aussieht, beruht viel mehr auf Eingewöhnung. Die Annahme lässt sich recht einfach praktisch am Beispiel des zweibeinigen Gehens nachvollziehen.

Menschen zeigen nach einer gewissen Phase der Eingewöhnung und Aneignung defacto in vielen vertrauten Zusammenhängen, dass sie immer wieder auf angemessene Weise orientiert erleben und handeln. Spielt der Körper eine wichtige Rolle als Medium der Erfahrung von Auswirkungen, so kommt ihm noch eine weitere, eine zweite Leistungsrolle zu. Der Körperleib dient als Form, in die Menschen – wie Lebewesen überhaupt -bestimmte Erfahrungen einprägen. Das Einprägen geschieht durch Wiederholung der Auswirkungen einer Erfahrungssequenz. Die für Erfahrungen wesentlichen Auswirkungen stammen von Erlebnissen (aufmerksamkeitsfokussierte Wahrnehmungsvorgänge) und Handlungen (willkürlich und unwillkürlich ausgerichtete Bewegungen).

Aufgrund „codierter“ Muster eingeprägter Auswirkungen wissen Menschen, ohne sich bewusst zu sein, was als nächstes erforderlich ist oder noch möglich wäre, und zwar bis auf weiteres. So lange alles, wie erwartet läuft und nichts auf- oder eintritt und vorfällt, was ihnen im Kontext ihrer einverleibten Erfahrungsimpakte außergewöhnlich erscheint oder ihre Routinen unterbricht, minimieren sie den Aufwand für zusätzliche bewusst durchgeführte Kontrollen. Indem sie auf einverleibte Muster der Erfahrung abstellen, reduzieren sie den Einsatz von Energie und Aufmerksamkeit praktisch auf ein schwellwertig beschränktes und situativ zulässiges Minimum.

Wie ein Autopilot passen Menschen in vertrauten Situationen ihren Zustand entsprechend den Gegebenheiten an. Bis zu einer bestimmten Schwelle gleichen sie Veränderungen und auftretende Turbulenzen „vorbewusst“ aus. Bevor sie sich der Sache bewusst als Problem zuwenden und sich fragen müssten, was jetzt zu tun sei, verfahren sie wie gewohnt unter Rückgriff auf inkorporierte Erfahrungen. Sie registrieren die Veränderungen und korrigieren den Kurs oder die Lage relativ zu den gewandelten Verhältnissen, solange diese innerhalb vertrauter Bandbreiten schwanken. Erst in bedrohlichen und unbekannten Lagen, schalten die betroffenen Menschen vom gering überwachten Modus eines „Ich kann immer wieder“ auf den kritischen Übergang „bis auf weiteres“ um. Erstaunlich daran ist, dass sie vorbewusst vorgehen, also ohne dass sie dabei bewusst wählen und entscheiden müssten, was wie und warum so und nicht anders zu tun oder zu lassen sei.

Bei nachdrücklichen Bedarf jedoch und unter besonders dramatisch gewandelten Bedingungen sind sie auch bereit und fähig, nicht nur ihre Gewohnheiten, Routinen oder Rituale umzustellen, sondern in der Lage selbst die Orientierungsrahmen zu verändern. So vermögen Menschen sogar ihre Einstellungen, Gefühle und Überzeugungen neu aus zu richten, wenn sie feststellen müssen, dass sie sich auf fundamentale Weise geirrt haben.

Die „Form- und Gestaltbarkeit“ nenne ich „Plastiabilität“ und bezeichne damit in erster Linie die Fähigkeit oder „Vermöglichkeit“ von Menschen unter bestimmten Bedingungen gewisse wiederholt gezeigte Bereitschaften und Verhaltensweisen z.B. Handlungsroutinen, Alltagsrituale, Verhaltensgewohnheiten, … angelegentlich und soweit unter bestimmten Rahmenbedingungen erforderlich, mittels neuer Erfahrungen zu variieren.

Routinen, Gewohnheiten und Rituale bezeichnen Bereitschaften, Vorgänge auf eine bestimmte Weise auszuführen und Abläufe ganz selbstgewiss immer wieder zu vollziehen. Abläufe und Vorgänge wollen gelernt sein. Das „Was“, das „Wie“ und das „Wozu“ ich dies tue und jenes lasse, muss zunächst ermittelt werden, bevor ich immer wieder umsetzen kann, was ich will und vermag. Ob ich nun – wie jedes Kleinkind – neugierig probiere, Bauklötze anzuordnen oder mir aus Tiefkühlware mein Mittagessen zubereite, stets will eine analoge Lücke geschlossen werden. Wie soll ich umsetzen, was ich erreichen will, bevor ich erfahre, worauf es ankommt?

Gleich nun, ob ich selbst probiere oder mir jemand anderes vermittelt, was zu beachten ist und worauf es ankommt, das bestimmten oder auch typischen Verhaltensweisen zugrundeliegende Wissen, Können und Wollen, will zunächst einmal erfahren sein, bevor wir uns die Erfahrung und dazu stimmige Bewegungsabläufe aneignen, d.h. mehr oder weniger dauerhaft und nachhaltig einverleiben.

Ich lade Sie ein, das Thema der Plastiabilität menschlicher Handlungs- und Erlebnisbereitschaften gemeinsam zu erörtern. Beginnen wir mit dem letzten Punkt zuerst.


[1]  Zur Illustration siehe für einen Überblick einer aktuellen Diskussion unter anderen Traci Watson: The trickster microbes, that are shaken up the tree of life in Nature 569, 322-324 (2019).

https://www.nature.com/articles/d41586-019-01496-w#ref-CR7 Eine deutsche Übersetzung publizierte das Wissenschaftsjournal Spektrum im gleichen Jahr https://www.spektrum.de/news/trickser-bakterien-schuettelnn-stammbaum-des-lebens/1646886

[3] vgl. Freud, Jung, Adler